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Mein fremder Bruder

Mein fremder Bruder

Titel: Mein fremder Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahmima Anam
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Heimat so schnell nach der Staatsgründung den Rücken kehrte.
    »War ich auch.«
    »Aber jetzt bist du hier.«
    »Ich bin schon vor fast einem Jahr wieder zurückgekommen. Und du? Ich habe gehört, du wärst irgendwo im Norden.«
    »Ich bin auch wieder zurück.« Sie wußte nicht, wie sie dievielen Dinge zusammenfassen sollte, die in der Zwischenzeit geschehen waren.
    »Und wie geht es Sohail?« Sein Gesicht war dunkel im flackernden Kerzenlicht, rot im Schatten der roten Papiersonne hinter dem Shahid Minar, doch seine breite Stirn, sein kantiges Kinn konnte sie gut sehen.
    »Seine Frau ist gestorben«, antwortete Maya.
    »Ja, das habe ich gehört. Ich – ich wollte ihn eigentlich anrufen, aber …«
    »Er hat kein Telefon.« Sie gingen in Richtung Universität. Maya unterdrückte das Bedürfnis, Joy nach früher zu fragen, wie ihr Bruder gewesen war, auf dem Schlachtfeld, im Krieg, als revolutionär gesinnter Student, damit sie ihm von der Tragödie seiner Verwandlung berichten konnte. »Erzähl mir von New York. Wie hoch sind die Wolkenkratzer denn nun wirklich?«
    »Noch höher als im Film.«
    »Noch höher? Da mußt du dich ja sehr klein gefühlt haben.«
    »Ja, man fühlt sich klein, aber nicht wegen der Hochhäuser.«
    »Was hast du da gemacht?«
    »Ich habe als Taxifahrer gearbeitet«, antwortete er. Er sah sie an, und sie lächelte ein klein wenig zurück, als wollte sie sagen, daß Taxifahren nichts Schlimmes oder Peinliches war. »Und ich habe geheiratet.«
    »Geheiratet!« Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Das ist ja unglaublich! Du hast geheiratet und keinem was davon gesagt?«
    Sie waren jetzt an dem riesigen Banyanbaum vor der Kunsthochschule angekommen, unter dem sie vor dem Krieg so viele Nachmittage verbracht hatten. Er drückte die Hand an die Rinde und lehnte sich an den Baum. »Es war nicht diese Art von Ehe.«
    »Was für eine denn dann?« Sie ließ es sich kurz durch den Kopf gehen, dann platzte sie schon mit der einzigen Erklärung heraus, die ihr einfiel: »Schwanger?«
    Er lachte. »Die Biene Maya. Sticht wie eine Biene. Wie Muhammad Ali.«
    Das war der Spitzname gewesen. Die Biene Maya.
    Er erzählte weiter. »Ich habe sie geheiratet, damit ich in den USA bleiben durfte. Mein Studentenvisum war abgelaufen, und ich wollte nicht zurückkommen.«
    »Wie er sein Herz ans Ausland gehängt hat«, stichelte sie.
    »Ich weiß, was du davon hältst – du hast es bei unserem letzten Treffen ziemlich deutlich gemacht.« Er zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und hielt es ihr hin.
    »Eine Zigarette aus New York? Da kann ich ja nicht nein sagen.«
    Er steckte sich zwei Zigaretten in den Mund, zündete beide an und gab dann eine an Maya weiter.
    »Das hab ich schon mal in einem Film gesehen«, sagte sie.
    »Ich auch.«
    »Ich dachte, du gehst nicht gern ins Kino.« Sie wollte ihn an früher erinnern, an sein Leben als Soldat, als er noch gefürchtet hatte, verweichlicht zu scheinen.
    »Ich bin nicht mehr derselbe wie früher.«
    »Das glaube ich dir nicht.«
    Er wechselte das Thema. »Aber ich habe gehört, daß du dich kein bißchen verändert hast. Immer noch derselbe Kampfgeist wie eh und je.«
    Sie errötete. Sie erzählte ihm von Rajshahi, wie sie Landärztin geworden war, ließ aber den Grund ihres überstürzten Umzugs weg. Und sie sah Joy wieder vor sich, wie er geweint und sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte. Sie wollte etwas über seinen Bruder sagen. Aref war Sohails bester Freund an der Uni: Die beiden waren unzertrennlich gewesen, seit Sohail herausgefunden hatte, daß Arefs Vater genau wie Ammu Urdu sprach, sie beide Verwandte in Pakistan hatten und ihre politische Überzeugung mit ihrer Familiengeschichte in Einklang bringen mußten.
    Sie hielt immer noch die Sandalen in der Hand. Als sie sich vorbeugte, um sie wieder anzuziehen, sah sie, daß er ebenfalls barfuß war und die Hosenbeine hochgekrempelt hatte. »Wo sind deine Schuhe?«
    »Die hab ich zu Hause gelassen.«
    »In New York?«
    Beide lachten. Er winkte eine Fahrradrikscha heran und hielt ihr die Hand hin, um ihr hineinzuhelfen. Als sie ihm schon zum Abschied winken wollte, schlüpfte er neben sie auf den Sitz. »Ich will Sohail sehen«, sagte er.
    Sie fragte sich, wieviel er wohl wußte – und ob sie ihm von der Dachsiedlung und den vielen Besuchern und dem Anblick der Tschadors erzählen sollte, die dick und schwarz auf der Leine hingen, und wie sie vor vielen Jahren sämtliche Glühbirnen weggeworfen

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