Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
gelernt hatte. Uns war beigebracht worden, dass Homosexuelle pervers und verdeckt feindselig wären, beides Eigenschaften, die sie schon fast zu SPs machten. Wenn ich mir jetzt die Typen im Fernsehen ansah, konnte ich allerdings keine dieser Eigenschaften entdecken. Es ergab einfach keinen Sinn, und ich verstand nicht, wie dieses Urteil zutreffen sollte.
Wir besaßen auch einen Internetanschluss, mit dessen Umgang ich jedoch reichlich unerfahren war. Eines Tages machte Dallas mich auf eine Website namens Operation Clambake aufmerksam, die der Church gegenüber sehr kritisch eingestellt war. Als ich die Zielrichtung der Seite begriff, sahen Dallas und ich einander fassungslos an. Uns beiden war klar, dass wir auf etwas gestoßen waren, von dem wir eigentlich die Finger lassen sollten. Dennoch konnte keiner von uns leugnen, wie interessant die Sache klang. Aus Selbstbeherrschung hielten wir uns zurück, aber schon das, was wir sahen, war ziemlich aufschlussreich. In einer Story auf der Seite wurde etwa behauptet, Onkel Dave habe sich mit unlauteren Mitteln an die Spitze der Church gedrängt. Hier hörte ich zum ersten Mal eine negative Bemerkung im Zusammenhang mit seiner Führerschaft. Die Seite machte mich irgendwie neugierig, andererseits verstand ich auch nicht richtig, wie Websites zustande kamen und funktionierten. Bewusst war mir jedoch, dass es Ärger einbringen konnte, sich solche Sachen anzusehen. Operation Clambake erwähnte auf seiner Seite unter anderem OT III -Material, und ich war gewarnt worden, welche Folgen eine verfrühte Auseinandersetzung mit Informationen aus noch nicht erreichten Stufen haben konnte. Ich beschloss, mich davon fernzuhalten, um nicht geisteskrank zu werden.
Ganz aus dem Kopf bekam ich die auf der Website geäußerten Vorwürfe gegen meinen Onkel aber nicht. Durch die Demonstranten vor der Flag Land Base wusste ich natürlich von den Aufwühlern, mit denen Scientology zu kämpfen hatte, neu war mir allerdings, dass es komplette Websites gab, die sich gegen Scientology richteten, und neu war mir auch, welche Rolle das Internet inzwischen im Alltag der Menschen spielte. Aus irgendeinem Grund fand ich es nicht nur überraschend, sondern auch irgendwie beruhigend, wie leicht Dallas auf die Seite gestoßen war. Ein wenig ähnelte es dem Moment damals auf der Ranch, als ich heimlich gehofft hatte, die Mitarbeiter der beauftragten Fremdfirmen würden sich für uns einsetzen. Sobald die Erfahrungen, die wir mit Scientology machten, draußen wahrgenommen wurden, verlieh mir das ein Gefühl der Ermutigung, selbst wenn sich dadurch nicht unmittelbar etwas änderte.
Als ich meine Eltern an diesem Abend anrief, fragte ich sie, ob an der Geschichte über Onkel Dave etwas dran sein könne. Sie behaupteten, nicht viel davon zu wissen, und sagten, dass sie das Internet nicht unbedingt für eine verlässliche Informationsquelle hielten. Da meine Eltern die Sache so abtaten, geriet sie bei mir ein wenig in Vergessenheit.
Nicht nur die Dinge, die wir lasen und sahen, ließen uns tiefgehender über die Church nachdenken, auch die Menschen, die wir kennenlernten, und unser Lebensstil, der sich so stark verändert hatte, trugen dazu bei. Vorbei war die Zeit unablässiger Reglementierungen und ständiger Security-Checks. Jetzt konnten wir tatsächlich unser eigenes Leben führen, jedenfalls mehr als früher. In Canberra freundeten wir uns mit den meisten Anhängern von Scientology an, schon allein, weil wir auf sie beim Spendensammeln angewiesen waren. Wenn ich mit ihnen zusammen war, konnte ich mir vorstellen, wie mein Leben mit Dallas aussehen würde, wären wir nur noch öffentliche Scientologen, die ihr eigenes Einkommen hatten. Unter den Scientology-Mitarbeitern war mir bislang noch keiner begegnet, der neben seiner Arbeit für die Church noch einer normalen Zweitbeschäftigung nachging.
Neben dem neuen Lebensstil veränderte uns auch die veränderte Präsenz der Church. Ich begann zu begreifen, dass Orte wie die Flag und die Int nur Ausnahmen darstellten, nicht die Regel. Mir war immer von fünfhundert über die gesamte Erde verteilten Scientology-Kirchen berichtet worden, und ich hatte sie mir alle wenigstens annähernd in der Größenordnung der Flag vorgestellt. Damit hatte ich eindeutig falsch gelegen. Ich sah diese kleine, ums Überleben kämpfende Gemeinde in Canberra, redete mit der Handvoll von Freizeit-Scientologen dort und musste erkennen, dass Scientology sich keineswegs auf dem
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