Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
unterschied, in dem ich aufgewachsen war.
Von San Diego aus flogen Dallas und ich nach Clearwater und anschließend weiter ins tiefverschneite Virginia, wo wir an einem herrlichen Wintertag eintrafen. Es war seltsam, meine Eltern in dem kleinen Haus zu sehen, in dem wie bei Dallas’ Eltern ein Kaminfeuer prasselte. Meine Mutter hatte sogar ein Essen für uns zubereitet, was mich völlig verblüffte. Alles wirkte familiär und fremd zugleich, und mit der Zeit bekam ich das Gefühl, vielleicht doch einen Ort zu besitzen, an den ich nach Hause kommen konnte. Zumindest über die Feiertage.
In den folgenden beiden Tagen zeigten uns Mom und Dad die Gegend und erzählten von ihrem Alltag. Es ging ihnen anscheinend richtig gut. Ich hatte eine angespannte Stimmung zwischen uns erwartet, aber davon war nichts zu spüren. Meine Mom widmete sich mit großem Eifer der Inneneinrichtung ihres neuen Hauses und schien dabei viel Spaß zu haben. Mein Vater schenkte uns zu Weihnachten ausgerechnet einen Fernseher und einen kombinierten Video/ DVD -Spieler, was natürlich toll war, aber gegen die Vorschriften der Church verstieß. Wir würden ein gutes Versteck dafür finden müssen. Bei unserer Abreise schien es mir fast, als hätte ich Eltern, die wirklich für mich da waren. Vielleicht lief es am Ende ja doch nicht nur auf Dallas und mich hinaus. Zum ersten Mal seit meiner frühesten Kindheit hatte ich das Gefühl, eine Mutter und einen Vater zu haben, an die ich mich in Zeiten der Not wenden konnte.
Zurück in Kalifornien wirkte unser kleines Zimmer auf der Base zwar trostloser denn je, aber wenigstens war es unser eigenes Reich. So klein es auch sein mochte, ein Vorteil des Ehelebens bestand darin, dass Dallas und ich nun ein eigenes Zimmer besaßen. Für mich waren wir damit jetzt eine kleine Familie, auch wenn diese nur aus zwei Personen bestand. Wir hatten einen Ort, an dem wir allein sein konnten. Wir durften außerdem zusammen essen, und sollten wir einmal Freizeit haben, so durften wir auch die gemeinsam verbringen. Mit den Weihnachtsgeschenken, die wir bekommen hatten, wirkte das Zimmer gleich ein wenig wohnlicher. Tante Denise hatte uns ein paar Vorhänge geschenkt und Grandma eine Patchwork-Decke. Und nach mehr als zwei Jahren erzwungener Funkstille wurde mir nun sogar gestattet, künftig mit meinen Eltern zu telefonieren.
Verheiratet zu sein, machte die Dinge leichter. Nicht dass meine Probleme mit der Church dadurch verschwunden wären, aber ich konnte sie immer wieder lange genug verdrängen, um uns ein wenig in unserem Alltag einzurichten. Das, was in der Vergangenheit passiert war, konnte ich zwar nicht vergessen, doch ich musste mich nicht täglich damit beschäftigen.
Dallas und ich waren etwas mehr als ein Jahr verheiratet, als mein Vorgesetzter in der Immobilienverwaltung mir mitteilte, ich sei für eine Missionsaufgabe im australischen Canberra ausgewählt worden. Dort gab es eine kleine schwächelnde Scientology-Gemeinde, und meine Aufgabe sollte darin bestehen, ein neues Gebäude für sie zu finden und genügend Spendengelder aufzutreiben, um es zu kaufen.
Als ich hörte, dass die Mission mindestens sechs Monate dauern würde, rastete ich ein wenig aus. Ich wollte nicht so lange von Dallas getrennt sein. Aus eigener Erfahrung wusste ich nur zu gut, wie häufig Ehepaare durch ihre Jobs in der Church getrennt voneinander leben mussten. Ich hatte es bei meinen Eltern und anderen Bekannten gesehen, und ich erlebte es gerade bei einer Frau in der Immobilienverwaltung, die seit neun Jahren von ihrem Ehemann getrennt war. Zwei Freunde von mir waren für zwei Jahre auf Posten abkommandiert worden, die weit weg von ihren Partnern lagen, und beide waren mittlerweile geschieden.
Dallas und ich würden alles daransetzen, dass uns das nicht passierte. Also schlug ich vor, mit Dallas gemeinsam diese Missionsaufgabe anzugehen. Ich schickte ein Schreiben an den Vorgesetzten auf der Int, in dem ich seine Qualifikationen auflistete, und erhielt kurz darauf die Nachricht, dass er mich begleiten dürfe. Eine derart reibungslose Einwilligung kam mir sehr merkwürdig vor, aber mir sollte es recht sein.
Weder Dallas noch ich hatten je an einer Missionsaufgabe teilgenommen, was das Ganze noch eigenartiger machte. Zudem verlief der nötige Clearance-Prozess vor einer solchen Mission bei uns extrem ungewöhnlich. Normalerweise wurden alle, die man mit solch langfristigen Einsätzen betraute, sogenannten Opportunity Checks
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