Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
hinterlassen. Wir bügelten ihre Hosen, putzten ihre Schuhe und räumten sie ein, sodass sie griffbereit waren. Alles, was in Kommoden kam, wurde vor dem Einräumen makellos gefaltet. Um unsere EPF bei der CMO abzuschließen, wurden wir sowohl im Putzen als auch beim Waschen, Bügeln und Einräumen der Wäsche geprüft. Die Führungskräfte bekamen Formulare, in denen unsere Fähigkeiten benotet werden mussten.
In der Waschküche standen etwa zwanzig Waschmaschinen und Trockner für die über tausend Mitarbeiter der Flag. Zwei Waschmaschinen und Trockner waren nur für die Führungskräfte gedacht und durften von niemandem sonst benutzt werden, selbst wenn sie leerstanden. Die anderen Mitarbeiter durften sich nur Freitagabend und Samstagmorgen um ihre Wäsche kümmern, was hieß, dass es immer riesige Schlangen gab und viele schon gegen vier Uhr morgens aufstanden, um überhaupt eine freie Maschine zu bekommen. Die Führungskräfte bekamen Hemden ganz nach Bedarf, die normalen Mitarbeiter hatten jedoch nur eines oder zwei, was hieß, dass sie sie täglich mit der Hand waschen und bügeln mussten.
Meine Freundin Luisa und ich arbeiteten häufig mit Charlie zusammen, dem neunjährigen Jungen, der jetzt ebenfalls die EPF der CMO absolvierte. Charlie war ein ziemlicher Faulenzer, auf den man ständig aufpassen musste. Er hatte die unheilvolle Tendenz, beim Putzen eines Quartiers für mehr Schaden als Nutzen zu sorgen. Einmal bekamen wir alle Ärger, weil er schmutziges Geschirr in den Ofen geschoben hatte, anstatt es zu spülen. Dort wurde es erst ein paar Tage später vom Bewohner des Quartiers gefunden. Obwohl unser neunjähriger Faulpelz dafür verantwortlich war, wurden wir alle angeschrien.
Zwar war Charlie eine Nervensäge, aber rückblickend erkenne ich, dass er eigentlich nur ein vernachlässigter kleiner Junge war. Er war häufig überfordert, und zwar in allem, was er tat. Seine Haare waren immer ungekämmt, und nie wusch er seine Kleider, wahrscheinlich, weil er nicht wusste, wie, daher hatte er riesige Flecken auf seiner Uniform. Als ihm einmal von einem Vorgesetzten befohlen wurde, sein Hemd zu waschen, fanden wir ihn fünf Minuten später im Badezimmer, wo er versuchte, sein Hemd in die Toilette zu tauchen.
Obwohl wir Verständnis für seine Lage hatten, brachte er einen mit seinem ungewöhnlichen Verhalten leicht auf die Palme; schließlich wurden auch Luisa und ich deswegen bestraft. Aber ich fand ihn nicht nur nervig, sondern auch irgendwie faszinierend. Damals erkannte ich es noch nicht, aber er war das erste Kind, dem ich begegnete, das sich wirklich wie ein Kind verhielt. Auf der Ranch gab es solche Kinder wie ihn nicht. Die Kinder dort hatten zu viel damit zu tun, sich wie kleine Erwachsene zu verhalten. Charlie zeigte mir jetzt, wie ein Kind in seinem Alter sich normalerweise verhielt. Er kam mir vollkommen verrückt vor, als wären seine Gedanken auf nie gekannte Weise verdreht. Er verhielt sich vollkommen unlogisch und missachtete ständig die Anweisungen. Noch nie hatte ich ein derart impulsives Kind getroffen, und erst jetzt erkenne ich, dass nicht er, sondern ich die Verrückte war, weil ich von ihm erwartete, dass er Befehle befolgte.
KAPITEL 17
Die »Handhabung« der Familie
Innerhalb weniger Monate hatte ich beide EPF s hinter mir und durfte wieder fünf Stunden täglich lernen und die restliche Zeit mit Olivia und Julia arbeiten. Doch gerade, als ich mich wieder in der CMO einlebte, drohten die Probleme mit meiner Familie erneut alles schwieriger zu machen.
Es fing mit meinem Bruder an. Eines Tages beim Mittagessen erzählte mir meine Freundin Jessica, die ich noch aus meiner Anfangszeit von der Ranch kannte, sie hätte meinen Bruder in der Hacienda gesehen. Ich erklärte ihr, das sei unmöglich, da Justin in Kalifornien auf der Int Base sei. Sie müsse ihn verwechselt haben. Doch sie beharrte darauf, dass er hier in der RPF sei. Offenbar hatte er genau wie meine Mutter die Regeln gebrochen und bekam dafür die Höchststrafe der Kirche.
Die RPF wohnte, aß und arbeitete getrennt von den anderen Mitarbeitern, doch hin und wieder sahen wir sie bei verschiedenen Arbeitsprojekten auf der Base. Und natürlich mussten sie dabei immer rennen. Sie wohnten in von den anderen separierten Quartieren in der Hacienda.
Ich konnte es nicht glauben, dass Justin in der RPF war. Ich hatte ihn seit meinem Umzug zur Flag im Juni 1996 nicht mehr gesehen und keine Ahnung, dass er in Schwierigkeiten war.
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