Mein geliebter Ritter
hatte eine ungewöhnliche silberne Spitze in Form einer Löwenpranke.
»Damals ist er zu mir gekommen«, fuhr Mistress Leggett fort, »und ich habe ihm gesagt, wenn er je wieder in einem warmen Bett liegen will, muss er euch aus London schmuggeln und auf ein Schiff setzen.«
Linnet blinzelte die beleibte Frau an. »Danke, dass Ihr uns gerettet habt. Aber was wollten sie mit uns machen?«
Mistress Leggett warf einen kurzen Blick in den Saal, bevor sie antwortete: »Sie hatten die Idee, es könnte jemand ein Lösegeld für euch zahlen.«
Alain hätte kein Lösegeld für sie gezahlt, denn seine legitimen Söhne waren damals noch am Leben gewesen. Doch wie hatten die Männer von ihrem adeligen Vater erfahren? Ihr Großvater musste das Geheimnis einem seiner »Freunde« verraten haben, nachdem die Demenz bei ihm eingesetzt hatte.
»Wisst Ihr, wie die anderen heißen?«, fragte Linnet.
»Alles, was ich weiß, ist, dass einige sehr mächtige Kaufleute involviert waren.« Mistress Leggett legte eine schwere, feuchte Hand auf Linnets Schulter. »Mehr solltet Ihr auch nicht wissen.«
Als Mistress Leggett sie verließ, holte Linnet tief Luft. Es gab noch eine Person im Saal, die vielleicht etwas wusste, was ihr von Nutzen war. Ihr Schreiber, Master Woodley, glaubte, dass Ratsherr Arnold Genaueres darüber wissen musste, wenn eine große Menge flandrischen Tuchs vor zehn Jahren ohne angemessene Bezahlung den Besitzer gewechselt hatte.
Als Linnet den rundlichen Ratsherrn fand und in die Enge trieb, fing er so sehr an zu schwitzen, dass sie fürchtete, er würde einen Infarkt bekommen. Sie biss sich auf die Unterlippe, während sie zusah, wie er aufgeregt von einem Fuß auf den anderen trat. Wer konnte mächtig genug sein, um den Ratsherrn so in Angst und Schrecken zu versetzen? Was sie brauchte, war ein Verbündeter, der mächtiger war als ihr Feind.
»Wenn Ihr mich bitte entschuldigt«, sagte der Ratsherr und wich vor ihr zurück, als presste sie einen Dolch an seinen weichen Bauch.
Als er sich etwas von ihr entfernt hatte, gab er jemandem auf der anderen Seite des Saals ein Zeichen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, um zu sehen, wen er anschaute, aber es waren zu viele Leute da, um herauszufinden, wer es war.
Aus den Augenwinkeln verfolgte sie ihn, während er sich am Rand entlang auf die andere Seite des Saales durchschlug, bis er den gewölbten Torgang erreichte, der zu dem privaten Teil des Palastes führte. Dort verließ der Ratsherr mit einem raschen Blick über die Schulter den Saal.
Linnet drängelte sich durch die Menge, wobei es sie nicht kümmerte, ob sie jemandem auf die Zehen trat. Doch bis sie das Vestibül vor der Halle erreichte, war der dicke Ratsherr verschwunden. Die kalte Luft fühlte sich auf ihrer Haut gut an, als sie durch die äußeren Torflügel trat, um in die Dunkelheit in Richtung Privatpalast zu spähen.
Sie hörte Schritte auf dem Kopfsteinpflaster, doch die Geräusche verstummten, als sie ihnen den Bogengang hinunter an der Kapelle des heiligen Stefan vorbei folgte. Sie betrat das nächste Gebäude durch die erste Tür und fand sich in einem düsteren Korridor wieder, der nur von wenigen in Wandhalterungen steckenden Fackeln erleuchtet wurde. Das Gebäude schien leer zu sein, was ihren Argwohn noch verstärkte. Warum sollte der Ratsherr hierherkommen, außer um jemanden heimlich zu treffen?
Als sie um eine Ecke bog, erblickte sie zwei in lange Kapuzenumhänge gehüllte Personen vor sich. Als die beiden vor einer Tür zur Linken stehen blieben, zog sie sich rasch zurück. Linnet wartete, bis sie das Knarren und Schließen einer Tür hörte. Dann spähte sie wieder um die Ecke.
Gerade noch erhaschte sie einen Blick auf den Zipfel eines Umhangs, der durch eine Öffnung auf der rechten Seite verschwand. Seltsam. Ihr war dort gar keine Tür aufgefallen. Sie wartete eine Weile, doch da niemand wieder herauskam, schlich sie auf Zehenspitzen den Flur hinunter, um an der Tür zu lauschen.
Auf der rechten Seite war keine Tür zu sehen.
Sie schaute rasch den Korridor hinauf und hinunter, um sicherzugehen, dass niemand kam, und ließ dann die Fingerspitzen über die Wandpaneele gleiten. Sie lächelte, als sie fand, was sie gesucht hatte – die Umrisse einer Geheimtür. Wenn sie nicht gewusst hätte, wo sie danach suchen sollte, wäre sie ihr nie aufgefallen.
Sie drückte das Ohr auf die Wandvertäfelung, hörte jedoch nichts.
Wie konnte sie die Tür aufbekommen?
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