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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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in Audibertis Welt, einer Welt, die einstmals Ausgangspunkt der folgenschweren Entdeckung Aragons gewesen war. In diesen Kosmos, den Aragon in dem frühen Roman Anicet ou le Panorama ( Anicet oder das Panorama ) beschreibt, hätte mich niemand so angstvoll-kritisch einführen können wie Audiberti. Die gläserne Passage war für ihn ein Ort des Präsens, der einzige Platz, an dem die drei Einheiten, die der Handlung, des Orts und der Zeit, unzerstörbar regierten.
    Die Passagen begannen damals vor allem in Deutschland zu faszinieren, nicht zuletzt wegen Benjamins Passagenwerk . Ich glaubte immer, sie seien von Benjamin entdeckt worden. Doch Louis Aragon sagte mir einmal, leicht pikiert, Benjamins Emotion sei unübersehbar auf seinen surrealistischen Roman Paysan de Paris zurückzuführen. Und in der Tat, keiner hat wie er auf so erregende Weise das Nichtbetretbare dieser mysteriösen Welt im Glaskasten beschrieben. Darauf bezieht sich ein Brief Benjamins vom Mai 1935 , in dem dieser über die Entdeckung des Surrealismus schreibt: »Da steht an ihrem Beginn Aragon – der Paysan de Paris, von dem ich des Abends im Bett nie mehr als zwei bis drei Seiten lesen konnte, weil mein Herzklopfen dann so stark wurde, dass ich das Buch aus der Hand legen musste.« Dieser Satz wurde oft zitiert, aber ich komme nicht darum herum, ihn noch einmal niederzuschreiben. Was die Exegese nun in diesem verblüffend assoziativen, mit allen damals entdeckten Möglichkeiten des Zitierens und Montierens geschaffenen Text finden möchte, nämlich die Erleuchtung durch das Vergangene, Außer-Kurs-Gesetzte, ein nekrophiles Herumstochern in der abgehangenen Vergangenheit anonymer Banalität, dies alles trifft letztlich nicht zu. Aragon stand zu seinem Stoff nicht wie Benjamin in einem zeitlichen und topographischen Abstand; die Perspektive war eine geistige, eine, die sich gegen das ungebrochene Erzählen und gegen die Hierarchie des erzählbaren Stoffes richtete. Er sagte zu mir, nicht die Aura des Veralteten, von der heute so häufig die Rede sei, habe ihn angezogen, sondern einfach das, was seine Zeitgenossen zuvor übersehen hätten. Und er meinte: »Als ich den Paysan de Paris schrieb, gehörte die Welt, die ich darstellte, die Halbwelt der Passagen, der Park auf den Buttes Chaumont zum Banalsten. Keine große Literatur setzte diese Plätze ein, um einen ästhetischen Kitzel hervorzubringen. Ich habe dies Buch im durchgehenden Präsens notiert. Im Grunde schrieb ich es nach der Natur. Die Beschreibung ist die einer Wirklichkeit, die ich registrierte, ehe sie verschwand. Mit topographischer Exaktheit.« Verständlicherweise wollte Aragon in keinem unserer Gespräche zugeben, dass es in seinem Werk so etwas wie einen Bruch gebe. Auf meine Frage gibt er die deutliche, wenn auch unglaubhafte Antwort: »Nostalgie nach dem Paysan de Paris ? Davon kann keine Rede sein. Ich kenne derartige Gefühle nicht. Das Leben ist für mich das, was es jetzt und hier ist. Ich spiele nicht mit verlorenen Paradiesen. Das einzige, was ich akzeptiere, ist das Gegenteil von Nostalgie, die ständige Abrechnung.« Und er setzt hinzu: »Es ist ein Buch wie jedes andere. Es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen ihm und den späteren. Es widersprach auf dieselbe Weise seiner Zeit wie die Bücher, die im Laufe der Jahre hinzukamen.« Und mit einiger Süffisanz beschloss er das Gespräch: »Mir kann niemand mehr wehtun. Ich bin daran gewöhnt. Bei der Beerdigung Bretons verteilte man auf dem Friedhof Zettel mit der Aufschrift: ›Ein doppelter Skandal – Breton ist tot, und Aragon lebt weiter.‹ Ob ich etwas bedauere? Nein, dazu fehlt mir die Naivität.« Die Schärfe, mit der er diese gegen sich selbst gerichteten Angriffe formuliert, bewahrt ihn vor jeder denkbaren Verwundbarkeit der eigenen Person und vor der Kritik am eigenen Werk, einer Kritik, die sein erschreckend promptes Einlassen auf Überzeugungen und Sprachregelungen ständig hervorgerufen hat und die jeder nachvollziehen kann, der sich nur ein wenig mit diesen breit angelegten, im Laufe von sechs Jahrzehnten oft ins Barbarische und in lallende Reimerei ausufernden Texten auseinandergesetzt hat.

    Volker Schlöndorff und Werner Spies

    Audiberti ließ sich gerne von mir bei seinen Wanderungen durch die Stadt begleiten, die ihn zu dem führten, was er seine zwei »Absteigquartiere« nannte, zwei Kirchen, die er fast täglich wenigstens kurz aufsuchte. In Saint-Sulpice saßen wir bestürzt vor dem

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