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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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wohlhabend geworden war. Salacrou hatte denn auch seine literarische Laufbahn damit begonnen, in ganz Frankreich witzige Werbetexte für dieses Wunderprodukt der Familie zu verbreiten. Sie machten ihn zunächst berühmt. Er schlug mir vor, sein Stück Le Casseur d’assiettes , das 1924 Kahnweiler mit Illustrationen von Juan Gris publiziert hatte, für das Hörspiel einzurichten. Doch weder dieses Stück noch Césaires La Tragédie du roi Christophe kamen für eine Bearbeitung in Frage. Arthur Adamov, der damals im »Hôtel de Seine« lebte und am liebsten im kolonialen Dekor der »Rhumerie« oder im »Old Navy« am Boulevard Saint-Germain empfing, übergab mir gleichfalls Texte, darunter eine Bearbeitung von Gogols Die toten Seelen . Er nannte mir bei unseren regelmäßigen Treffen und in mehreren Briefen weitere Stücke wie L’homme des foules , Finita la commedia oder Le Téléphone du cœur . Er hatte sich nach der Begegnung mit dem Berliner Ensemble, das 1954 in Paris mit Brecht gastierte, vom Existentialismus und von seinen früheren surrealistischen Etüden völlig losgesagt. Jacques Audiberti, dessen Werk ich verehrte, schlug mir zunächst vor, sein Stück Effet Glapion zu übernehmen. Doch im Herbst 1961 übergab er mir Les Patients , ein Stück, das er gerne mit der Musik von Marcel Mirouze im Süddeutschen Rundfunk gesendet haben wollte.
    Audiberti gehörte zu den ergreifendsten und aufmerksamsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Er lebte damals in der Umgebung des Val de Grâce in der Rue des Lyonnais ganz in der Nähe der Rue Mouffetard. Ständig zog er ruhelos von einem Ort zum anderen. Es war die Zeit, da er mit seinem Stück Pomme, Pomme, Pomme in der Inszenierung von Georges Vitaly einen großen Triumph feierte. Ein skurriles Stück um Adam und Eva, die in dieser Variante des Sündenfalls Vevette und Dadou heißen und in einem Pariser Vorort beim Vater von Dadou wohnen, der nie stirbt und das ganze Stück über drohend hinter der Zimmerwand hockt. Das Paar hat als Untermieter Zozo aufgenommen, einen leicht luziferischen Hausgenossen, der eine Schlange, eine süße kleine Midinette namens Pomme, in seine Dienste genommen hat. Einmal wollte es Audiberti, der nirgends seine Ruhe finden konnte, mit meinem »Hôtel de Bourgogne« versuchen. Doch die Patronne wies ihn empört ab. Ich sprach mit ihr darüber. Als sie hörte, dass er Bücher schreibe, rief sie empört: »Was, ein Dichter? Das kommt mir nicht ins Haus, der will das Frühstück am Bett und weiß Gott was alles!« Mit Ergriffenheit blicke ich ab und zu wieder in sein letztes Buch, Dimanche m’attend – Sonntag wartet auf mich . Audiberti starb an einem Samstag. Das Tagebuch der letzten zwei Lebensjahre war kurz vor seinem Tod erschienen. Wenn ich ihn traf, war er immer voller Sorgen um sein Gegenüber. Und er fragte mich, ob ich auch zweimal am Tage zu essen hätte. Mit seiner heiseren, gebrochenen Stimme sann er allem nach, was ihm begegnete. Ich hatte den Eindruck, sein höchstes Anliegen bestehe darin, Unglück zu verhindern oder zumindest zu verkleinern.
    Wir trafen uns manchmal täglich – auch er gehörte zu den Stammgästen im großen Lesesaal der Bibliothèque Nationale. Er saß dort mit seiner breiten dunklen Brille wie ein Alchimist an einem Tisch unter dem grünen Lampenschirm. Vorzugsweise ließ er sich historische, kabbalistische, naturwissenschaftliche und theologische Abhandlungen kommen und mischte in seinen Notizen die verschiedensten Lesefrüchte. Er erzählte mir auch vom »Enfer« der Bibliothek, den erotischen und ketzerischen Schriften, vor denen man uns Leser beschützen wollte. Als er vor seiner Krankheit noch regelmäßig in die Rue de Richelieu kam, arbeitete er an einem Hörspiel, »Das Schilderhaus«, das er mir versprochen hatte. Daraus wurde nichts. Am Ende des Stücks, ehe ein Herzog den General Bonaparte, der damals bei seiner Schwester in Antibes lebt, gegen die Revolutionäre zu Hilfe ruft, kommt es zu einem bizarren Attentat im »Hôtel de Ville«. Der Soldat Médard zerschießt dem blutrünstigen Robespierre die Kinnlade, um endlich den Terror und die Guillotine anzuhalten und den Adel zu retten. Nach dem Tod von Audiberti wurde das Stück auf einer Frankfurter Bühne uraufgeführt. In der Nähe der Bibliothèque Nationale, bei der Börse, gingen wir regelmäßig zusammen essen. Mit Vorliebe wählte Audiberti die »Trattoria Toscana«, die in der Passage des Panoramas liegt. Hier waren wir mitten

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