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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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unerträglich, wo dieser doch andererseits sein Stück Die schmutzigen Hände in einem Boulevardtheater aufführen ließ, und damit der selbstgefälligen, in ihrer Wohlanständigkeit abgefederten Bourgeoisie Abend für Abend kommunistische Thesen auftische.
    In einem Brief vom 14. März 1962 erklärte Marcel Aymé, er sei heute noch darüber glücklich, dass er 1920 krank wurde und sein Ingenieurstudium abzubrechen hatte. Sonst wäre er nie Schriftsteller geworden. Auch er versprach mir Texte für den Rundfunk. Allerdings meinte er im Gespräch, er fürchte die deutschen Leser und Hörer. Die seien doch so ernsthaft. Ich entgegnete, wir würden uns sehr über ein heiteres Hörspiel freuen. Er bat mich, weil ihn diese Form wirklich herausforderte, ihm einige Texte zum Lesen zu überlassen, um die Dramaturgie des Genres zu studieren. Meist glaubten die Angesprochenen allerdings, es würde reichen, Stücke aus der Schublade zu bearbeiten.
    Ich wusste, dass dies nicht der richtige Weg war. Deshalb begann bald der Kampf um Originaltexte von Autoren, die sich mit der Dramaturgie des Hörspiels vertraut gemacht hatten und die genau auf der spannenden Grenze zwischen Sehen und Hören operierten. Ionesco gehörte dazu, er hatte bereits 1953 die radiophonische Skizze »Le Salon de l’automobile« geschrieben. Während meiner Kontakte zu Schriftstellern dachte ich ständig an Entdeckungen. Unermüdlich begann ich damals die eine umfangreiche Korrespondenz zu führen. Hunderte Briefe, Durchschriften und Antworten halte ich heute in Händen. Die meisten Nachrichten und Botschaften kamen von Beckett und Butor. Mit anderen Autoren war ich längere Zeit in Kontakt, darunter auch Jean Cau, der in der Rue de Seine lebte. Mit ihm führte ich passionierte Diskussionen, die zumeist durch Siegfrieds Trauermusik mit den harten Trommelschlägen aus der »Götterdämmerung« untermalt wurden. Der ehemalige Sekretär Sartres hatte sich damals vehement gegen die Kommunisten gewandt und wurde von ihnen verteufelt. In der umfangreichen Korrespondenz ist nachzulesen, dass wir sein Stück, das er mir fürs Fernsehen geschrieben hatte, schließlich für den Süddeutschen Rundfunk ablehnten.
    Die Begegnung mit einem Menschen, der sich wie kein anderer in Frankreich für das Hörspiel, für die Musikalität einer vom Sehen abgekoppelten Sprache einsetzte, hat mich besonders beeindruckt. Jean Tardieu und seine Frau Marie-Laure, die angesehene Botanikerin und stellvertretende Direktorin des Musée national d’Histoire naturelle, gehörten schnell zu den engen, lebenslangen Freunden. Tardieu folgte meinem Vorschlag, ein Hörspiel zu schreiben, umgehend, hatte er doch nach dem Krieg in Frankreich den »Club d’essai« gegründet, der mit den Möglichkeiten des Rundfunks auf originelle Weise experimentierte. Die Versuche führten weit über die üblichen Hörspielinstrumentarien hinaus. Tardieu war ein genialer Wortschöpfer. Er erkannte das Auditive als umfassende, Sprache, Geräusch, Artikulation und Musik einbeziehende Kunstform und verstand das Medium Rundfunk als technische Realität, die nicht nur Hörbares lieferte, sondern das Hörbare zum Thema machte. Für ihn war es offensichtlich eine Sternstunde, als er in unserem Haus beim Abendessen Dietrich Fischer-Dieskau und die großartige und bezaubernde Julia Varady kennenlernte. Er überbrachte Fischer-Dieskau einen Monolog, den er ihm gewidmet hatte. Die Stücke, die mir Jean Tardieu übergab, »Trois arbres dans une forêt«, »Le rite du premier soir« oder »Les oreilles de Midas«, waren von einer verwirrenden akustischen Einfallskraft. Tardieu war zudem neben und mit Ionesco der aufregendste Theaterautor dieser Zeit. Allerdings war er ein Meister der kurzen Formen. Das passte zu einem Mann, der wie kein anderer die Bündigkeit der Moralisten, der La Bruyère, Chamfort oder Rivarol liebte. Tardieu kümmerte sich nicht um die große rhetorische Form. Seine besten Prosaarbeiten bleiben in der Nähe des geflügelten Wortes. Es sind Texte, die die Sprache beim Stolpern überraschen. Tardieu bestand darauf, dass nur Versprecher und Entfremdung den abgewetzten Sinn wieder zum Vorschein bringen könnten. Im Bereich der Miniatur war ja auch Ionesco am eindrucksvollsten geblieben. Seine abendfüllenden Dramen erreichten nie die erschütternde Paradoxie von Les chaises oder Jacques ou la soumission . Tardieu gehörte zu den bedeutenden Dichtern und Menschen Frankreichs. Sein umfassendes, an Maximen,

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