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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Hörspiel von Dieter Wellershoff, »An einem ungenauen Ort«, ins Französische übertragen hatte, Mitglied der französischen Société des Auteurs in der Rue Ballu geworden. Eine große, reich verzierte Urkunde mit der Unterschrift von Armand Salacrou bestätigte mir dies am 11. Mai 1971. Ich erinnere mich noch an den Tag, da Jean Tardieu mich in seinem Wagen aus Villiers-sous-Grez nach Paris zurückbrachte. Wir hatten die Übersetzung eben beendet, und an der Porte d’Orléans wurde unser Wagen zusammen mit dem gesamten Verkehr aufgehalten, weil Konrad Adenauer auf Staatsbesuch nach Paris kam. Uns erschien dieses Erlebnis wie ein Symbol unserer Zusammenarbeit. Das experimentelle, von verblüffenden Sprachspielen durchsetzte Werk Tardieus war ganz und gar in der Tradition der Moderne verwurzelt. Die Herausforderung blieb die Weltliteratur. Die Übertragungen, die Tardieu von einigen Texten Goethes und Hölderlins vorlegte, gehören zum Bedeutendsten, was an Transfers von einer Sprache in die andere geleistet wurde. Übersetzen war für ihn nicht zuletzt auch eine ethische Haltung, die Aufforderung, Landessprache und nationale Beengtheit zu überwinden. Die letzte Übersetzung, die der »Marienbader Elegie«, erschien erst kurz vor seinem Tod. Er zögerte die Fertigstellung des Manuskripts über Jahre hinaus. Schließlich fehlte nur noch die Übertragung der letzten Strophe, die mit dem niederschmetternden »Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren« einsetzt. Ich hatte die Gewissheit, Jean betrachte diesen Text der Texte als ein Stundenglas, das er durch sein Zögern anhalten könne. Diesen Strophen über die Einsamkeit und die Unerbittlichlichkeit des eigenen Zerfalls, das Buffoneske der unmöglichen Liebe, gehörte seine ganze Liebe. Es berührte mich unendlich mitzuerleben, wie sich dieser alte Mann, der sich am späten Goethe orientiert, Emotionen und Passionen leistete, die eine säuberlich auf Trennung von Jung und Alt eingestimmte Gesellschaft verachtet und gar widerlich findet.
    Wiktor Schklowski, Giuseppe Ungaretti, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Georges Borgeaud, André Frénaud, Edoardo Sanguineti und eine Reihe anderer Schriftsteller nahmen an der COMES-Tagung im Herbst 1965 in Rom teil. Hans-Magnus Enzensberger schrieb mir, er könne leider nicht dazustoßen. In unserer umfangreichen Korrespondenz war es in den letzten Monaten um Ponge, Lacan, Barthes, Severo Sarduy, Lévi-Strauss, Monique Wittig, Nathalie Sarraute, um Strukturalismus gegangen. Er hatte mich gebeten, für die »Strukturalismus-Nummer« des Kursbuch , die er vorbereitete, einige Kontakte zu knüpfen. Einige der Teilnehmer des Kongresses in Rom interessierten sich in erster Linie für die Paramentengeschäfte, die in der Nähe unseres »Hotels Minerva« neben dem Pantheon lagen. Sie erstanden Accessoires, purpurne Socken, die in der kirchlichen Hierarchie nur Kardinäle aufwärts tragen dürfen.
    Höhepunkt des amourösen Fetischismus war ein Besuch der Schneiderei im Vatikan, in der man die papageienbunten Uniformen für die Schweizergarde nähte. Ich erlebte, wie einige der würdigen Herren auf allen vieren unter den Arbeitstischen herumkrochen, um kleine Stoffreste einzusammeln.
    Immer wieder kehrte ich mit Monique nach Rom zurück. Dabei unternahmen wir zusammen mit Götz Adriani und Jean-Louis Prat auch Besuche bei Renato Guttuso im honiggelben, majestätischen Palazzo del Grillo, der mit einer Wand an den Torre del Grillo aus dem zwölften Jahrhundert stößt. Hier, in der Nähe der Fori Imperiali, hatte Guttuso sein Atelier und seine Wohnung. Er verteilte seine zwei Leben auf zwei Stockwerke. Im ersten befand sich das Atelier, in dem er mit seiner langjährigen Geliebten, der Gräfin Marta Marzotto, zusammen war, und in der zweiten, mit dem Atelier durch eine Stiege verbundenen Etage herrschte seine elegante, überaus gebildete und mehrerer Sprachen kundige Gattin Mimise Dotti. Außer der Gräfin empfing sie uns alle dort zum Essen. Guttuso organisierte für mich auch eine Reise nach Sizilien, wo ich seinen Geburtsort Bagheria, einen Vorort von Palermo, kennenlernen sollte. Dort hat er uns, so wurde mir später berichtet, auch unter den Schutz der Mafia gestellt. Eine komödiantischere Beziehung zwischen Kommunismus und Vatikan konnte man wohl nicht finden. Als er von unserem Wunsch hörte, außerhalb der Öffnungszeiten die Sixtina und die Paulinische Kapelle zu besuchen, rief er sofort einen befreundeten Kardinal an,

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