Mein Glueck
geworden. Sicher, Botschafter wie Wilhelm Hausenstein versuchten in Paris einiges, um nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Dialog mit dem intellektuellen Frankreich wieder in Gang zu bringen. Aber der eigene ästhetische Konservatismus gebot es Hausenstein ebenso wie Kahnweiler, dem Publikum das zu ersparen, was in ihren Augen die deutsche Kunst negativ charakterisiere, das »Schweifende«, »Maßlose«. Den Vorstoß einiger Franzosen, den »Blauen Reiter« oder Beckmann zu zeigen, wiegelten Hausenstein und Kahnweiler nachweislich ab. Kahnweilers Begründung lautete: »Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, in Paris den deutschen Expressionismus zu zeigen, der nichts anderes gewesen ist als eine Fortsetzung des Fauvismus einerseits und des Kubismus andererseits – mit einer deutschen Mentalität.« Das war für ihn ein feststehendes Urteil. Zur Illustrierung seiner Skepsis gegenüber Beckmann oder Noldes wie mit Schnee untermischter Farbigkeit verwies mich Kahnweiler auf eine Äußerung André Malraux’, der ihm, auf seine Anregung hin, die Franzosen doch irgendwie mit dem deutschen Expressionismus bekanntzumachen, geantwortet habe, dafür sei es sicher am besten, Grünewalds Isenheimer Altar nach Paris kommen zu lassen. Dies alles ist historisch von höchster Bedeutung. Die Unterschiede schienen unüberbrückbar zu sein. Das Verhältnis zu Kunst aus Deutschland war weiterhin mit Komplexen belegt. »Paris–Berlin« bedeutete einen Einschnitt, führte dazu, dass man den überstrapazierten Vergleich Brücke-Maler und Fauves endlich zu relativieren begann. Und mit Freude und Genugtuung erlebte ich, dass auch Kahnweiler beim gemeinsamen Gang durch »Paris–Berlin« vieles entdeckte und dabei offensichtlich Künstler und Werke wahrzunehmen bereit war, die er früher prinzipiell abgelehnt hatte. Auch fand ich es amüsant, dass wir uns bei dieser Gelegenheit mit Nina Kandinsky trafen, die überaus angeregt über die Vielfalt der Ausstellung sprach, die nicht nur sie überraschte.
Ich erinnere mich noch an die Tage, als wir die Säle einrichteten. Das Hängen von Ausstellungen bereitete mir immer einen großen Spaß. Es ist die Belohnung für die Anstrengungen und Ängste, die man zuvor zu ertragen hat. Zudem war es spannend, mit den Bildern zu spielen. Ich konnte nie allein von einer detaillierten Maquette ausgehend arbeiten, in der alles zuvor in Miniformaten ausprobiert worden war. Der reale Umgang mit den Bildern und Objekten ruft zu Kombinationen auf, die man nicht vorhersehen kann. Und schließlich hängt vieles nicht nur vom Gemälde, sondern von seiner Rahmung ab. Der Wechsel eines Rahmens ändert alles, oft auf geheimnisvolle Weise. Es ist, als würde man eine Frau entkleiden.
Mehr und mehr Werke kamen bei der Vorbereitung von »Paris–Berlin« aus den Kisten, und alle Kollegen im Hause, die dabei Hand anlegten, entdeckten etwas absolut Unbekanntes, das, was ich den »ikonographischen Imperativ« der Kunst aus Deutschland zu nennen begann. Den Betrachter erwartete in weiten Teilen der Schau ein visueller Schock, die Begegnung mit Gewalttätigkeit, Furie, Tragik, die sich in den Themen und Darstellungsmitteln offenbaren. Sind solche Werke dem empfindsamen französischen Auge zumutbar? In dieser ängstlichen Frage, die ich im Vorwort des Katalogs stellte, äußert sich eine stereotype Vorstellung vom Französischen und eben auch eine Aussage über die ursprüngliche Erwartungshaltung der Franzosen, die sicher waren, in der deutschen Kunst nichts anderes als Ausdrucksexzesse finden zu können. Bei aller Unterschiedlichkeit, die die Kunst in Deutschland zu diesem Zeitpunkt bestimmte und über die man kaum brauchbare generelle Aussagen machen kann, zeigte sich, dass von dieser Kunst nur wenig mit den Begriffen einer stilistischen Entwicklung zu fassen ist. Es dominieren politisch-gesellschaftskritische Aussagen und Konzepte. Auch der Berlin-Raum in der Ausstellung diente nicht dazu, die idyllische Unwiederbringlichkeit einer Hauptstadt des 20. Jahrhunderts zu besingen. Er sollte nicht einfach das aus der Wirklichkeit Berlins herauslösen, was diese in der Erinnerung zu einer in mythologischer Unwirklichkeit versunkenen Weltstadt machte: die aufregende Kulturindustrie der zwanziger Jahre.
Weitgehend geriet diese Präsentation der deutschen Kunst, die auf der anderen Seite des Rheins entstanden war, zu einer Illustration des Folgenden: »Während die Deutschen in weltanschaulichem und politischem Apriori
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