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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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bei den Besuchen während der Konviktszeit und auch später noch stundenlang im Wohnzimmer saß, während die Tante auf dem Plattenspieler klassische Musik, mit Vorliebe Brahms-Sinfonien, auflegte und dazu eine Kerze anzündete. Sicher, das freute mich, denn ich liebte nichts anderes als klassische Musik. Dass sie bei den sogenannten schönen Stellen mitsummen musste und durch Gesten und verdrehte Augen die eigene Aufregung ihrer Umgebung aufzudrängen suchte, das war eher peinlich und abstoßend. Doch dies passte zu ihrem Dirigismus. Sie überwachte alles und sorgte nicht zuletzt dafür, dass ihr Mann, der wirklich reizende und gutmütige Onkel Helmut, sich abends ein zweites Mal rasierte, um mit seinem harten Bart auf keinen Fall die Betttücher zu zerkratzen. Es war nicht zu übersehen, dass die Tante sich in ihrer Familie fehl am Platz, unverstanden und verdammt fühlte. Offensichtlich litt sie unter der ihrem Verständnis nach unverdienten Anonymität, in die sie ihr Mann, ein liebenswürdiger, leidensbereiter Angestellter, gestoßen hatte. Deshalb war sie unentwegt auf der Suche nach würdigen und bedeutenden Verwandten. Auf der Seite der Vorfahren ihres Vaters Benedikt Klöpfer wurde sie fündig. Zu diesem Familienzweig gehörte nicht zuletzt die außerordentliche Margarete Steiff, die Begründerin der Spielwarenfabrik in Giengen an der Brenz, wo die berühmten »Steifftiere« hergestellt wurden. Doch vor allem stürzte sie sich auf den Onkel Hans Kloepfer, einen Arzt und Mundartdichter, der 1944 in Köflach in der Steiermark gestorben war. Er stammte aus Giengen an der Brenz, der Heimat der Familie des Vaters. Die Großeltern Hans Kloepfers waren in die Steiermark ausgewandert. Der Dichter war alles andere als ein Mann des Widerstands. Er hatte Hitler in Gedichten gefeiert. Einen Wahlaufruf zur Volksabstimmung über den Anschluss nannte er einen »festlichen Brautlauf«. Dies schien die Tante nicht über Gebühr zu stören. Sie nahm Kontakt zu seinen zwei Söhnen Hans und Thomas auf, ein Arzt und ein Studienrat, korrespondierte mit ihnen und fuhr sogar in die Steiermark, um sie zu treffen und in Eibiswald das Museum zu besuchen, das die Geburtsstadt des Poeten 1954 für diesen eingerichtet hatte. Hans Kloepfer hatte 1935 ein Erinnerungsbuch vorgelegt, das mich beschäftigte. In Aus dem Bilderbuch meines Lebens las ich, dass sein Vater mit Ludovika Fuchs verheiratet gewesen war. Das öffnete ihm die Tür zur Musik, zu Robert Fuchs, dem spätromantischen Komponisten und Schüler von Bruckner, der zeitlebens ein enger Freund von Brahms gewesen war. In der Tat klingen seine erste und zweite Sinfonie, in die ich ab und zu hineinhöre, ein wenig wie vorausberechenbarer Brahms. Zu Robert Fuchs’ Freunden und Schülern in Wien zählten Gustav Mahler, Erich Wolfgang Korngold, Richard Strauss, Hugo Wolf, Alexander von Zemlinsky, Jean Sibelius und Franz Schreker. In der Tat eine illustre und keineswegs harmonische Gesellschaft, wenn ich an Korngolds »Die tote Stadt« und an Schrekers »Irrelohe« denke. Die Tante sorgte dafür, dass ich während meines Studiums in Wien mit einer betagten früheren Sekretärin des »Serenaden-Fuchs« bekanntgemacht wurde. Diese reizende Dame war ehrenamtlich im Musikverein tätig und schenkte mir regelmäßig Karten für Oper und Konzert. Dort erlebte ich Igor Strawinsky als fragilen Dirigenten und den Liebling Wiens, die bezaubernde Irmgard Seefried und ihren Mann, den Violinisten Wolfgang Schneiderhahn, vor deren Haus ganz in meiner Nähe ich mit Herzklopfen vorbeiging, Renata Tebaldi, Lisa della Casa, Leonie Rysanek, Anton Dermota und all die grandiosen Sänger und Sängerinnen, die in Wien auftraten.
    Aufseiten der Familie meiner Großmutter Schweizer ging es für mich handfester, aber ebenso spannend zu. Die Tante Betha Sulzmann war unserer Mutter und uns sehr verbunden, sie war eine Cousine der Großmutter und etwa so alt wie die Mutter. Wenn wir in Schramberg waren, wurden wir aus Beständen ihres Kurzwarengeschäfts neu eingekleidet. Mit ihrem Hund und ihrer Gesellschaftsdame wirkte sie beeindruckend auf mich. Dies war die bessere Welt. Sie war belesen, reiste zu Theater- und Opernbesuchen. Die Neffen und Nichten der zarten Großmutter, deren gichtige Finger wie ein Abzählvers wirkten, lebten noch, und ich konnte sie wiederholt in Schramberg im Uhrengeschäft von Cuno Schweizer, dem Großonkel, oder in der darüberliegenden Wohnung treffen. Eine dieser Tanten beeindruckte mich

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