Mein Glueck
klassische Vokabular dialektisch für seine eigenen kubistischen und biomorphen Formveränderungen eingesetzt hatte, schränkte in den Kriegsjahren die Beschäftigung mit klassischen Themen auffallend ein. In den wenigen Fällen, in denen er überhaupt zu einer mediterranen Körperlichkeit zurückkehrt, geschieht dies mit einer unübersehbar kritischen Intensität. Man könnte meinen, dass der Jahrhundertkünstler nur deshalb zum klassischen Kanon gegriffen hat, weil er die regressive Rückkehr zu Tradition und Norm, die Breker und seine Gefolgsleute propagierten, mit ihrer eigenen Sprache bekämpfen musste. Die großen opportunistischen Paten Brekers, immer dieselben, stehen in den frühen vierziger Jahren in Frankreich bereit, Cocteau, Maillol, Despiau. In ihrem Namen formulierte Maillol 1942 das ad nauseam zitierte Urteil: »Breker ist der deutsche Michelangelo des XX. Jahrhunderts.« Diese Ironie war die heftigste Ohrfeige, die man einem Mann versetzen konnte, der in Feldgrau seinem Idol Hitler das besetzte Paris präsentiert hatte. Immer wieder wurde ich aufgefordert, etwas über diesen Künstler, den großen Freund von Cocteau, zu schreiben. Joachim Fest meinte damals, eine kritische Auseinandersetzung müsste mich doch locken. Es war mir unverständlich, dass nach der Nazi-Ära Menschen in Büsten, die sie von sich anfertigen ließen und dabei auf einem Ähnlichkeitsgrad bestanden, den nur Breker liefern konnte. Zu nachhaltig hatten Biologismus und die Aussicht auf die Mutation zum perfekten Menschen, für die Brekers Skulpturen die Modelle abgaben, den Glauben an eine Wahrheit des Abbilds zerstört. Vielleicht spielten manche Auftraggeber mit dem Gedanken einer heimlichen, prickelnden Teilhabe am Verruchten. Darüber entstand auch ein Streit zwischen Peter Ludwig und mir. Doch für mich blieb Breker ein abstoßender, übelriechender Abdecker der Klassik. Der Weg zu ihm lenkt uns auf den Friedhof der Geschichte. Und die Exhumierung eines Kadavers hat nichts Schönes an sich. Das Blut-und-Boden-Getöse, die hypertrophen Bizepse, Schenkel und liebevoll ziselierten Geschlechtsorgane, angesichts derer sich so seichte und verführbare Erscheinungen wie Cocteau, Lifar, Peyrefitte oder Dalí offensichtlich belebten, führen uns nicht zu einem radikalen, gefährlichen Kapitel der Kunstgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern setzen uns eher dem lüsternen Magnetfeld aus, das heute die Kuriositätenkabinette der Leichenfledderei eines von Hagens um sich aufbauen. Im Sommer 1975 wollte mich Breker auf seiner Parisreise unbedingt treffen. Da ich ihn zuvor nie gesehen hatte, schlug ich als Ort die Max-Ernst-Retrospektive vor, die ich in diesen Wochen im Grand Palais organisierte. Er solle unter dem monumentalen Foto des Künstlers warten, das an der Eingangswand vor der Ausstellung hing. Er betrat das Foyer – er wartete, ich beobachtete ihn. Gleich dem Insekt, das unbedacht in die Fänge von Musils klebrigem Fliegenpapier gerät, verlangsamten sich zusehends die Bewegungen des wartenden Brekers. Wegen meiner Nähe zu Kahnweiler, Picasso, Max Ernst, Beckett oder Nathalie Sarraute, die mich über die grausamen Folgen von Brekers Kollaboration mit den Nazis hinreichend aufgeklärt hatten, konnte ich diesem Mann nur kritisch begegnen. Schließlich sprach ich den Bildhauer an und war höchst irritiert, dass sich dieser bereits mit seinem ersten Satz, in dem er seine Bewunderung für Max Ernst bekundete, bei mir einschmeicheln wollte. Es war äußerst unglaubwürdig, dass ein Mann, der sich auf so irreversible Weise für die klassizistische Mumifizierung des Menschen entschieden hatte, auch nur das leiseste Verständnis für das Gebrochene und die Poesie des Heterokliten aufbringen konnte, die sich hinter Dada, Surrealismus und der Collage offenbaren. Denn was bedeutet Collage anderes, als mit Hilfe einer Alchimie, die Fremdes zusammenbringt, Rechthaberei und Ausschließlichkeit zu überwinden. Collage erscheint geradezu als symbolische Form für einen Humanismus, der mit allen Fasern die Vorstellung von einer Norm bekämpft, die sich von Zerfall und Niederem reinzuhalten wünscht. Schließlich versuchten wir, im Café des Drugstores an den Champs-Élysées ins Gespräch zu kommen. Dabei ging es dem Bildhauer, der zu jenem Typus zählte, der vor lauter Kunst- und Sendungsbewusstsein im Grunde keine Ahnung hat, allein um Rechtfertigung und um die Wiedergewinnung seiner verlorenen Ehre. Die Erinnerungen, die er dabei zu
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