Mein Gott, Wanda: Roman (German Edition)
sie bisher geflissentlich übersehen hatten.
»Offensichtlich. Vielleicht kann er das von der Steuer absetzen oder so? Oder er muss bei der Krankenkasse vorweisen, dass er was für seine Gesundheit tut.« Biggi dachte praktisch wie immer. »Und sei doch froh. Ein Mitglied mehr.«
»Aber gleich eine Jahreskarte? Hat er etwa dafür einen Zwerg bekommen?« Wanda öffnete die Tabelle auf dem Bildschirm, in der Marianne akribisch die Zwerge verwaltete. Zwergenfrau mit Kopftuch, stand dort hinter Gerds Namen. »Er hat die Zwergenfrau bekommen.« Wanda war fassungslos. »Was will er denn damit?«
»Vielleicht ist er einsam«, sagte Biggi. »Vielleicht findet er keine Frau in seiner Größe?«
»Du bist unmöglich, er ist doch gar nicht so klein. Er ist größer als ich!«
»Und du bist klein.«
»Bin ich nicht.« Wanda schielte in den Spiegel. Eigentlich fand sie sich mittelgroß. Na gut, neben der üppigen Biggi sah jeder aus wie ein zartes Pflänzchen. Sie beobachteten beide den Musiker, der lustlos auf einem Fahrrad Platz genommen hatte und gelegentlich in die Pedale trat. Immer, wenn er eine Seite seines Magazins umblätterte.
»Was der hier will …« Biggi schüttelte den Kopf. »Soll ich ihn mal fragen?«
»Ich frag ihn selber.« Wanda setzte sich augenblicklich in Bewegung, damit Biggi ihr nicht zuvorkam.
Denn Wanda hatte so eine Ahnung, was Gerd wollte. Eine Ahnung, die sie für sich behielt, denn erstens konnte sie nichts beweisen und zweitens war sie die Tower Bridge von Big Ben – oder was auch immer – und somit nicht mehr zu haben.
»Tag, Gerd. Wie ich sehe, treibst du wieder mal bis zum Umfallen Sport.«
Er sah von seiner Zeitschrift hoch, verwundert, als ob er gerade erst merkte, wo er sich befand.
»Ich habe hier diesen interessanten Artikel gefunden«, sagte er. »Da bin ich wohl etwas aus dem Takt gekommen.«
»Aha.«
»Aber vom Umblättern ist mein Daumen bereits ganz muskulös. Das ist doch ein Anfang. Der Rest folgt schon noch.« Er hielt als Beweis seinen Daumen hoch. Er hatte feingliedrige Hände, nicht solche Bratwurstfinger wie Ecki.
»Was war es denn für ein Artikel?«, fragte Wanda. Auf gar keinen Fall würde sie ihn fragen, warum er plötzlich Mitglied geworden war und was um alles in der Welt er mit dem schrecklichen Zwerg vorhatte. Auch wenn Biggi sich noch so sehr den Hals verrenkte.
»Über dieses Haus, dieses Gebäude in Amerika.«
»Ein Gebäude?« Wandas Lächeln gefror ein wenig. Heilige Mutter Gottes, nicht schon wieder ein verdammtes Bauwerk.
»Ja, stell dir vor, da ist diese Frau in Amerika, die ein altes Haus vor dem Abriss retten wollte, weil sie es so geliebt hat.« Gerd sah Wanda an und fing plötzlich an zu lachen. »Und da hat sie es geheiratet.«
»Sie hat was?«
»Sie hat …« Weiter kam er nicht, denn jetzt fing auch Wanda an zu lachen.
»Sie hat es geheiratet? Wie kann man denn … wie kann man denn ein Haus heiraten?«
Er schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Keine Ahnung. Es gab sogar eine Zeremonie und einen Pfarrer. In Amerika kann man offenbar alles heiraten.« Das Magazin war auf den Boden gerutscht, und Wanda erhaschte einen Blick auf ein marodes altes Haus, vor dem eine mollige Frau im weißen, wallenden Brautkleid stand. Sie presste ihre Wange mit trotzigem Gesichtsausdruck an das Gemäuer.
»Na, wenn das so ist, dann heirate ich meine Bank«, sagte Wanda. »Und dann teilen wir unser Einkommen.«
»Und ich frage mich gerade, wie die gemeinsamen Kinder aussehen werden.«
Sie lachten immer noch, als Ecki hereinkam.
»Da hat eine Frau ein Haus geheiratet, Ecki. Stell dir das mal vor.« Wanda hielt ihm die Zeitschrift unter die Nase.
»Du meinst wohl gekauft«, sagte Ecki, ohne einen Blick auf das Bild zu werfen. »Gute Investition, wenn es noch zu restaurieren ist. Kommt natürlich auf den Zustand an, Gebäudestruktur, Termiten, Grundwasser und so weiter. Kommst du noch mal mit?«
Als Wanda aus dem Innenhof zurückkam, war Gerd leider schon wieder weg. Wahrscheinlich hatte das auch alles nichts zu bedeuten. Doch Wanda wurde dieses Gefühl nicht los … Seit dem 1. Dezember war im Herkules nämlich das Wichtelfieber ausgebrochen, einige der neuen – weiblichen, so vermutete Wanda – Mitglieder hatten damit angefangen. Und so fand sich der ein oder andere unverhofft mit einem an ihn adressierten Päckchen wieder, in denen sich hauptsächlich selbstgebackene Plätzchen und Süßigkeiten, Tassen mit
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