Mein Herz springt (German Edition)
kämpfte weiter. An den Wochenenden gab sie Matthias, auch in Anwesenheit anderer, immer wieder zu verstehen, dass sie sich unter der Woche allein gelassen fühlte. Bis sie sich irgendwann in ihr verlassenes Schneckenhaus zurückzog. Oft lag Frieda stundenlang – fast schon lethargisch – auf ihrem Bett. Matthias kümmerte sich um die Kinder. Seine Versuche, Frieda aufzumuntern, waren meist nur von kurzer Dauer. Frieda fühlte sich überfordert und allein gelassen. Hilfe und gute Worte bestätigten sie in dem Eindruck, dass ihr die anderen die Mutterrolle nicht zutrauten.
Das Familienglück wich dem Alltag. Und während Frieda in diesem Alltag gefangen war, versuchte Matthias, ihm zu entfliehen. Friedas Leben stagnierte. Matthias‘ Leben bekam eine Eigendynamik, fernab der Familie. Die Ehe scheiterte. Aber lag es nur an dieser Situation?
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Abend, als Frieda völlig aufgelöst zu uns nach Hause kam. Kalle und ich hatten Gäste, mit denen wir im Wohnzimmer ein Glas Wein tranken. Ich rechnete mit nichts. Bis es plötzlich vehement klingelte. Wer sollte zu so später Stunde noch zu uns wollen?
Ich öffnete die Tür und vor mir stand meine Tochter, die mir tränenüberströmt in die Arme fiel. Ein kalter Schauer überkam mich. Was war passiert? War einem der Kinder etwas zugestoßen? Ich rang nach Worten, löste Frieda von meinen Schultern, sah sie an und fragte: »Was ist passiert? Kind, was ist passiert?« Frieda schluchzte, versuchte, ihrem Schmerz für eine Sekunde Einhalt zu gewähren: »Mama, Matthias. Matthias hat mich verlassen.« Ich traute meinen Ohren nicht. War aber dennochfroh, dass es den Kindern – zumindest körperlich – gut ging. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet.
»Komm rein, Frieda.« Ich führte meine Tochter in unsere Küche, setzte sie auf einen Stuhl und bat sie, einen Moment zu warten. Ich musste kurz überlegen, wie ich unsere Gäste geschickterweise auffordern könnte zu gehen.
Als ich ins Wohnzimmer kam, schaute mich Kalle bereits erwartungsvoll an: »Wer hat da so wild an der Tür geklingelt?«
Ich antwortet bewusst ruhig: »Frieda. Sie hat ihren Schlüssel vergessen. Ihr geht es nicht gut.« Und gleichzeitig wandte ich mich unseren Freunden zu: »Würde es euch etwas ausmachen, ein anderes Mal vorbeizuschauen? Wir müssen uns um unsere Tochter kümmern. Sie hatte einen stressigen Tag und braucht ein paar Streicheleinheiten. Es scheint wichtig zu sein.«
Als wir die beiden verabschiedet hatten, fragte mich Kalle aufgeregt mit flüsternder Stimme im Flur: »Was ist los? Was ist passiert? Wo ist Frieda?«
Ich legte meine Hand beruhigend auf seinen Unterarm: »Sie ist in der Küche. Matthias hat sie verlassen. Lass‘ mich ein paar Minuten mit ihr alleine.«
Aus den Minuten wurden Stunden. Immer und immer wieder brach Zorn, Wehmut und Verzweiflung aus Frieda heraus. Eine Zeit lang ließ ich sie einfach weinen. Aus den Wortfetzen, die sie schluchzend von sich gab, konnte ich mir keinen Reim machen. Erst später, als sich Frieda wieder etwas beruhigte, fragte ich zaghaft, ob sie mir erzählen wolle, was zwischen Matthias und ihr vorgefallen sei.
»Eigentlich war alles wie immer. Matthias kam am späten Nachmittag von seiner Dienstreise aus Ungarn nach Hause. Ich merkte ihm an, dass er angespannt war, schob es aber auf die anstrengenden Arbeitstage in der vergangenen Woche. Aber irgendwann …« Wieder brach Frieda in Tränen aus.Ich legte meinen Arm um ihre Schulter, streichelte ihren Oberarm, drängte sie nicht, wartete. Und dann sprach sie gefasst weiter: »Irgendwann kam ich ins Schlafzimmer. Ich wollte Matthias helfen, seinen Koffer auszupacken. Da saß er nach vorne gebeugt auf dem Bett. Die Augen hatte er unter seinen Handballen versteckt, wie ein kleines Kind, das nicht entdeckt werden wollte. Ich setzte mich neben ihn, sagte nichts. Dann schaute er mich mit ernster Miene an. Seine feuchten Augen verrieten mir, dass gleich etwas Schreckliches passieren würde. Und einen kurzen Moment später gestand er mir, dass er sich in eine andere Frau verliebt hätte. Ich hörte nur »eine andere Frau« und alles Weitere bekam ich nicht mehr mit. Ich musste weg, raus aus unserem gemeinsamen Haus, aus unserem gemeinsamen Leben.«
Frieda schlief in dieser Nacht bei uns. Ich rief Matthias an und bat ihn, sich keine Sorgen zu machen. Seinen Versuch, mir die Situation zu erklären, unterband ich. Ich wollte und konnte an diesem Abend nicht mit ihm
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