Mein irisches Tagebuch
RUC, die ich mit auf den Weg bekommen habe. Und sogleich geht es mir wie immer bei der Lektüre von Selbstpreisungen, die in hohen und höchsten Werten schwelgen - ich werde skeptisch: »Der Dienst in der RUC ist unabhängig von Alter, Geschlecht, politischem und religiösem Glauben, dem ethnischen oder sozialen Hintergrund...« Ach ja? Und wie kommt es dann, daß die RUC zu über 90 Prozent aus Protestanten besteht bei einem katholischen Bevölkerungsanteil von 44 Prozent?
»Die Mehrheit gehorcht dem Gesetz«, lese ich weiter, »aber wo es gebrochen wird, da garantiert die RUC, professionell, fair und friedenserhaltend zu handeln mit Ehrlichkeit, Höflichkeit, Anteilnahme und Unparteilichkeit.« Uff!
Meine Unruhe vertieft sich noch, als ich in der Broschüre auf ausführliche Ratschläge stoße, wie Einbrüche verhindert werden könnten und was gegen Kindervandalismus zu tun sei, wohingegen dem Thema der Friedenserhaltung - maintaining the peace - ganze fünf Zeilen gewidmet werden, vor allem aber die
Frage: »Warum eine so gewaltige Überwachungszitadelle inmitten einer Ortschaft von weniger als ioooo Bewohnern?« gar nicht gestellt wird.
Wieder die verschiedenen Wahrnehmungsmuster, die unterschiedlichen Interpretationen von Wirklichkeit. Was sagen kritische Protestanten zu dieser Schrift, geschweige denn geschichtsbewanderte Katholiken?
Und wie hatte Martin L. noch gesagt? »Die RUC muß verschwinden.«
Dennoch gelingt es mir auch in den nächsten Tagen nicht, Inspektor John A. K. M, 38 , press officer im Ulster Constabulary Subdivisional Headquarter, Coundes Fermanagh and Tyrone, Vater dreier Kinder, britischer Staatsbürger und willens, es zu bleiben, im Sommer vor ausländischen Interviewer ohne Uniformjacke tretend und überdies eines sympathischen Lächelns fähig - es gelingt mir nicht, diesen Mann zu dämonisieren.
Soll doch büßen, wer büßen will
Auf dem Weg zum Croagh Patrick, Irlands Heiligem Berg, wo heute, wie jeden letzten Julisonntag, der große Pilgerzug dem 763 Meter hohen Gipfel zustreben wird - in diesem Jahr am 26. des Monats.
Das Datum des Aufstiegs hatte ich mir, erinnerlicherweise, früh in meinem Kalender vermerkt, um ihn an Ort und Stelle zu erleben, von wo aus auch immer ich anzufahren hätte.
Zu diesem Zweck muß ich also aus dem »anderen Irland« zurückkehren in die Republik, nicht ungern nach allem, was einen da oben drückt, wie ich gestehe, ein willkommener, wenn auch nur kurzer Ausflug, da die Arbeit in Nordirland noch nicht beendet ist.
Von Sligo über Castlebar kommend, sehe ich den gewaltigen Spitzkegel schon lange vor Westport, von näher dann die kleine weiße Kapelle droben, wie der verlorene Spritzer eines Sahnehäubchens, die tiefen Regenschründe des Nordhangs und das märchenhafte Blau der Clew Bay zu seinen Füßen.
Dann endlich liegt er vollends vor mir, der Croagh Patrick, nackt, bräunlich und in seiner ganzen gigantischen Beulenhaftig-keit.
Da oben, gleich unterm Himmel, soll der Heilige Patrick im Jahr 441 wie Mose vierzig volle Tage in Buße fastend zugebracht, soll er in Wind und Wetter gefleht und sich gewunden haben, daß ihm Erleuchtung komme und der Herr dem reuigen Bergsteiger alle Sünden erlasse für die ungemeine Anstrengung des Aufstiegs und die Tortur eines so langen Gipfelaufenthalts. Ein Beispiel, das offenbar auch mehr als eineinhalbjahrtausende später nichts von seiner magnetischen Eindruckskraft verloren hat, denn der Anblick, der sich mir hier bietet, ist erstaunlich.
Scharen gläubiger Menschen, alt und jung, groß und klein, Hunderte und aber Hunderte, beschuhte und unbeschuhte, lachende und ernste, solche mit und solche ohne Stock, sie machen sich von der Kirche bei Lecanvey oder von den Ruinen des kleinen Klosters bei Murisk auf, um über Geröll und Schutt und weite Umwege die ferne Bergspitze zu erklimmen. Es ist die allerhärteste Pilgertour der an strapaziösen Wallfahrtsorten nun wahrlich nicht armen Insel - zumal danach noch der kaum weniger schwierige Abstieg erfolgen muß.
Mein Aufstieg endet allerdings schon hier vorn, an der Statue des Heiligen Patrick im Bischofsornat und mit Bischofsstab in der Hand, einer kalkigen Figur auf einem mit christlichen Symbolen verzierten Betonsockel, aus dem das Halbrund eines Weihwasserbeckens ragt. Eine Prüfung ergibt, daß es darin so trocken ist wie in der Mundhöhle der Pilger, wenn sie das Ziel ihres beschwerlichen Marsches endlich erreicht haben.
Ich jedenfalls bin
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