Mein irisches Tagebuch
widerspiegelt beredt jede Nuance ihrer Gefühle, ihre Gestik untermalt sie noch, energisch und doch gezügelt, und ihre Augen sind eindringlich auf ihren Gesprächspartner geheftet.
So erfahre ich von der vierzigjährigen Katholikin, Mutter von drei Kindern, wie ihr Mann, Danny D., IRA-Freiwilliger, erschossen wurde - am 6. Dezember 1984, laut offiziellem britischen Bericht bei einem verhinderten Anschlag auf einen prominenten Loyalisten.
Judith D. bestreitet nichts. »Er hat es getan und ist dabei gefallen, mit 22 Jahren«, sagt sie, unpathetisch, und zeigt mir zwei Fotos. Auf dem einen sehe ich einen schwarzhaarigen, gutaussehenden Mann mit Schnurrbart und einem Band um die Stirn, auf dem anderen ein umgestürztes Motorrad, daneben der Körper des Erschossenen. Danny D. hatte gerade eine Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren abgesessen.
Im Verlauf des Gesprächs erfahre ich von Judith D., daß der Bruder ihres Mannes fünf Jahre später, im Februar 1989, ebenfalls von britischen Soldaten erschossen worden ist. »Er hatte vierzehn Kugeln im Leib und hinterließ Frau und drei Kinder, die alle seinen Tod mitangesehen haben.«
Dann redet sie weiter in dieser seltsamen Verwandlung, die den ganzen Körper mitsprechen läßt.
Judith D. erzieht ihre Kinder nicht in Haß gegen Briten, Protestanten und Polizei, aber in Gegnerschaft. Das ist ein Unterschied, sagt sie. Die sind da, so wirklich wie Regen und Hagel, mit ihnen muß man sich auseinandersetzen. Haß ist verständlich, nützt aber nichts. Es gibt Probleme, Verhältnisse, Bedingungen, die so nicht bleiben konnten, und als friedliche Mittel zu ihrer Veränderung nichts brachten, ist zur Gewalt und zum bewaffneten Kampf übergegangen worden. In diesem Kampf gibt es zweierlei Recht, für Protestanten das eine, für Katholiken das andere. Die Freilassung Lee Cleggs, von dem man hört, daß er wieder in die Armee aufgenommen worden sei, hat sie empört und erschreckt. Sie ist für die Vereinigung Nordirlands mit der Republik und hält die Furcht, in einem geeinten Irland würden die Protestanten so behandelt werden, wie sie die Katholiken behandelt haben, für gänzlich abwegig. »Das könnten wir gar nicht, wir haben doch gelernt aus dem, was sie uns angetan haben. Außerdem wäre es eine völlig andere nationale Situation.«
Auch sie vertritt die Meinung, daß eine Vereinigung nur durch einen Majoritätsbeschluß der Bevölkerung von Nordirland herbeizuführen ist. »Alles andere liefe auf die Verewigung des Konflikts hinaus, nur daß er dann nicht, wie jetzt, in einem Teilgebiet, sondern in ganz Irland ausgetragen würde.«
Sie gibt zu, daß die IRA auch unschuldige Menschen getötet hat und sie unter diesem Wissen leidet - ohne, wie üblich, anzufügen, daß es unvermeidlich gewesen sei.
Dann setzt Judith D. mich vor den Bildschirm, legt ein Videoband ein und drückt auf den Knopf. Es knallt: Männer mit Maschinenpistolen schießen über einem Sarg Ehrensalut - ich sehe einen Film vom Begräbnis des Danny D. auf dem großen Friedhof von Londonderry. Ein Trauerzug mit Hunderten von schwarzgekleideten Männern und Frauen, begleitet von einem Troß langsam fahrender Militärfahrzeuge. Auf dem hellen Sarg die Fahne der irischen Republik, an den Flanken des Zugs, dicht an dicht, die Uniformen der RUC, und in der Luft schnurrende Helikopter. Obwohl es nicht regnet, haben viele Trauergäste Schirme aufgespannt, damit die Gesichter von oben nicht zu erkennen sind. Andere haben sich maskiert, so die Gruppe, die dem Sarg voranschreitet. Man sieht Judith D. mit ihrem ersten, damals gerade neun Monate alten Kind auf dem Arm, dann schwenkt die Kamera weg und richtet sich auf den Priester, der die Grabrede hält, auf irisch.
Judith D., in meinem Rücken, übersetzt ins Englische: »Er sagt: >Wie Bobby Sands, der durch Hungerstreik starb, so ist auch Danny gefallen - für Irland. Die einzige Sprache, die die Briten verstehen, ist die der Gewalt. Danny war ein lebensfroher Mann, aber er hatte nur ein kurzes Leben< - das sagt der Priester.« Es ist das einzige Mal, daß die Stimme von Judith D. versagt, hier am Schluß. Ich möchte mich umdrehen, tue es aber nicht.
Die ganze Zeit über hat ein Mann im Zimmer stumm dagesessen, einen dreijährigen Knirps auf dem Arm, der ebenfalls keinen Laut von sich gegeben hat, sondern mit großen Augen, den linken Daumen im Mund, in die Runde schaut: Martin L. Er ist Judith D.s Lebensgefährte, mit dem sie dieses Kind und noch ein
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