Mein irisches Tagebuch
Truppen James II. durch die dreizehn Lehrlinge 1689, The Apprentice Boys of Derry, sozusagen die lokale
Variante des Orange-Ordens, in vollem unionistischen Wichs, mit lambeg drums, Pfeifen, Tambourmajoren und Standarten unter den aufreizenden Klängen des Schärpenmarsches - The Sash - durch Londonderry marschiert, und das seit 188 Jahren.
Ausgangsort der Parade war stets die Apprentice Boys Memorial Hall, hoch oben auf der Mauer - bis zum 12. August 1969. An diesem Tag stießen die Orange-Männer, die gern schon mal abschätzig kleine Münzen über die Brüstung auf die tiefer gelegene Bogside geworfen hatten, auf den erbitterten Widerstand der katholischen Bevölkerung - Zusammenstöße, die sich tagelang fortsetzten und die schon im Oktober 1968 ausgebrochenen troubles dann in den Bürgerkrieg verwandelten, von dem seither ganz Nordirland geschüttelt wird.
Ich habe schon davon berichtet. Auch davon, daß es seit jenem Augusttag den Apprentice Boys of Derry verwehrt worden war, auf den Wällen oberhalb der Bogside zu marschieren, obwohl sie jedesmal wieder den Antrag stellten. Aber die vergangenen 27 Jahre blieb ihnen nichts, als zähneknirschend auf die traditionelle Strecke von der Apprentice Boys Memorial Hall über den Waterloo Place und Strand Rose bis Culmore zu verzichten.
In diesem Jahr jedoch gehen Gerüchte um, daß sie mit ihrem Antrag auf die alte Route möglicherweise Erfolg haben könnten - ich traute meinen Ohren und Sinnen nicht, als ich davon hörte. Im zweiten Jahr eines zerbrechlichen Waffenstillstands und nach mehr als zweieinhalb Jahrzehnten der Aussetzung soll der Marsch von der Apprentice Boys Memorial Hall auf den Mauern der Altstadt über die volle Distanz gehen?
Es kann nicht wahr sein!
Was sich hier zwischen dem Diamond und Butcher’s Gate tut, das sind nur die Vorzeichen einer Unruhe, die überall zu spüren ist und die explodieren kann, falls die Genehmigung erteilt wird.
»Das steht noch nicht fest«, sagt Paul O’Connor, »es heißt, daß die Entscheidung erst im letzten Augenblick erfolgen soll. Wir werden da sein.«
Ich auch.
Mein irisches Tagebuch X
12. August.
8 Uhr 10. Der Himmel ist bedeckt.
Die abgesperrte City starrt nur so von Polizisten, überall die Uniformen der RUC, die Straßen, sonst wimmelnd von Passanten, zumal an einem Sonnabend wie heute, sind menschenleer. Londonderry/Derry scheint sich auf das Schlimmste vorzubereiten. Nachdem mir eine Polizistin freundlich erklärt hat, daß Autos keinen Zutritt zum Diamond haben, fahre ich außen herum, bis zur Free Derry Corner, und lasse da den Wagen stehen. Dann gehe ich die Straße hoch zu Butcher’s Gate.
Das Tor ist von Polizeifahrzeugen blockiert. Darüber, auf der Mauer, sind viele Menschen, katholische Männer und Frauen, die den Weg versperren wollen, falls marschiert werden darf.
An die Mauer rechts von Butcher’s Gate sind Leitern gestellt, auf denen junge Männer hinaufklettern wie bei der Erstürmung einer belagerten Stadt, ein bestürzendes Bild. Da die Leitern zu kurz sind, um bis zur Mauerkrone zu reichen, müssen die Kletterer sich das letzte Stück hochhangeln, was gefährlich aussieht. Aber niemand will sich helfen lassen. Oben angekommen, ist noch ein Hindernis zu überwinden, um auf das Innenplateau der Mauer zu gelangen - starke stählerne Stakete, schwarzgestrichen, mit dolchartiger Spitze, aber unüberwindlich sind sie nicht. Einige Stäbe sind aus ihrer Halterung gerissen und über die Brüstung hinuntergeworfen worden, andere so weit auseinandergebogen, daß ein Mensch hindurchschlüpfen kann. Niemand weiß, wer das getan hat, sicher ist nur, er muß über ungeheure Kräfte verfügt haben.
Noch hat die Szene einen scheinbar humoresken Charakter. Von der Mauer herab wird gelacht, gescherzt, den Leuten zugewinkt und zugerufen, die gegenüber dem Tor vor ihre Häuser getreten sind oder aus den Fenstern lehnen. Aber die ganze Straße in die Bogside hinunter ist voller Polizeiwagen, einer hinter dem anderen, wie Metalldrachen anzusehen.
Es nieselt. Ich stelle mich unter eines der kleinen Schutzdächer, die über jeder Haustür angebracht sind, und warte. Von rechts, aus der Richtung der Apprentice Boys Memorial Hall, dringen Geräusche. Werden die Unionisten die Genehmigung bekommen, auf der Mauer zu marschieren?
Immer noch steigen Leute die Leitern hoch, es zieht mir beim Zuschauen in den Gedärmen, wenn sie von der obersten Stufe aus versuchen, das letzte Stück zu erklimmen
Weitere Kostenlose Bücher