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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Mann vorausgeht, mich durch die schwerbewachte Anlage in ein Zimmer führt und mir dort den Besuch des press officer ankündigt.
    Keine fünf Minuten später tritt Inspektor John A. K. M. ein, Mitte dreißig, schätze ich, ohne Uniformjacke, mit einem gewinnenden Lächeln und der Aufforderung, Fragen zu stellen.
    »Die erste - wieviel Einwohner hat Lisnaskea?«
    »Neuneinhalbtausend.«
    »Zweite Frage: Wie viele davon sind Katholiken, wie viele Protestanten?«
    »Achtzig Prozent Katholiken, zwanzig Protestanten.«
    »Und drittens: Wie finden Sie es denn, daß einer Einwohnerschaft von vier Fünftel Katholiken durch die RUC, die zu neunzig Prozent oder mehr aus Protestanten besteht, ein solches Polizeifort vor die Nase gesetzt worden ist? Gibt es dafür irgendein anderes Argument als Einschüchterung?«
    Inspektor John A. K. M. stutzt, als hätte ihn eine solche Überlegung noch nie heimgesucht, lacht und sagt dann: »Ob die das so sehen? Das Verhältnis zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen ist gut, zwischen ihnen hat es wenig Zusammenstöße gegeben, auch jetzt im Juli nicht.«
    »Gar keine?«
    »Es ist einmal eine Rakete abgefeuert worden, aus hundert Yards Entfernung, direkt auf unsere Station, hat sie aber verfehlt. Niemand ist verletzt worden.«
    »Von wem wurde sie abgeschossen?«
    »Von der IRA natürlich.«
    »Hat man die Schützen gefaßt?«
    »Nein, aber aus Lisnaskea waren sie nicht.«
    »Sie sind Protestant?«
    »Seit meiner Geburt.«
    »Würden Sie gegen paramilitärische Protestanten anders Vorgehen als gegen IRA-Leute?«
    Inspektor John A. K. M. runzelt die Stirn, reibt den rechten Zeigefinger unter der Nase und sagt dann, betont sachlich: »Egal, wer das Recht bricht, welche Seite auch immer, wir werden gegen sie Vorgehen.«
    »Finden Sie, daß damit die Rolle der RUC in dem nordirischen Konflikt erschöpfend charakterisiert ist?«
    »Für meine Person ja«, sagt John A.K.M., »ich glaube an Recht und Ordnung, und in meinem Berufsleben hat es bisher nichts gegeben, was das in Zweifel gestellt hat. Ich war vorher Bankangestellter, nicht gleich bei der RUC. Aber es gefällt mir hier.«
    »Sie sind britischer Staatsbürger?«
    »Ja, und will es auch bleiben. Ich habe drei Kinder, zweijungen und ein Mädchen, neun, sieben und vier Jahre alt, und liebe meine Frau. Ich möchte, daß sie ein ungefährdetes, friedliches Leben führen wie ihre katholischen Altersgenossen auch.«
    »Sagen Sie mir was zum cease-fire ?«
    »Jeder begrüßt es, wenn keine Bomben hochgehen. Wie könnte es denn anders sein? Da hat sich doch vieles schon entspannt. Das muß so bleiben.«
    »Und Decommissioning of Weapons ? Sollte nur die IRA die Waffen abgeben?«
    »Nein, das muß für beide Seiten gelten. Aber oft genug war die Gewalt auf unserer Seite eine Reaktion auf IRA-Anschläge.«
    »Und worauf hat die IRA reagiert?«
    Er nickt mit dem Kopf, schweigt, sagt dann: »Es war und ist nicht alles in Ordnung. Aber so geht es nicht.«
    »Hätte sich denn sonst überhaupt etwas bewegt?«
    »Lassen Sie mich mal sagen, und zwar nach beiden Richtungen: Heute muß sich etwas bewegen, und zwar ohne Gewalt.«
    Ich denke: Eigentlich geschieht hier etwas Unglaubliches. Ich sitze als Ausländer und Wildfremder in einem überregionalen Hauptquartier der Ulsterpolizei, animiere einen Offizier, mir auf zentrale Fragen des großen Konflikts zu antworten, und John A. K. M tut es auch. Gleichzeitig bin ich mir bewußt, was ein katholischer Insider ihm während eines solchen Dialogs alles hätte entgegensetzen können und um wieviel gespannter die Atmosphäre dann gewesen wäre. Dennoch kann ich nicht umhin, die Situation in diesem kahlen Raum als etwas Tröstliches, vielleicht sogar Konstruktives zu empfinden, jedenfalls wenn ich mir andere Konflikte in anderen Ländern mit anderen Gegnern zum Vergleich vorstelle - Bosnien,Tschetschenien, Afghanistan, Ruanda. Irrwitzig jede Erwartung, dort solche Fragen vor ihren Verursachern genauso angstfrei stellen zu können. Aber natürlich, es kommt eben darauf an, welche Meßmodelle man aneinanderhält. Auch das Leidlichere kann für die Betroffenen immer noch unleidlich genug sein.
    Der Inspektor bringt mich bis zur Tür, zeigt mir den Platz, von wo die Rakete abgeschossen worden ist, und auf die Stelle, wo sie eingeschlagen hat an der Mauer eines gegenüberliegenden Hauses. »Hoffentlich die letzte«, sagt er.
    Wir geben uns die Hand.
    Die Hitze ist brütend.
    Später lese ich in einer Werbeschrift der

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