Mein irisches Tagebuch
Frage, wie der Heilige Patrick sich während der fast sechswöchigen Buße da oben gegen die Kälte geschützt, vor allem aber, wie er sich verpflegt habe. »Für den Fall, daß wir in die gleiche Lage kommen sollten, haben wir dies mitgebracht«, sagt die Frau, worauf sie und ihr Mann die prallen Picknickkörbe in die Höhe halten. Dann stapfen sie, die Kinder des schlechten Pfades wegen an den Händen, lachend los. Beide, Mann und Frau, haben rote Jacken über, an denen sie leicht zu identifizieren sind. Fast drei Stunden später sehe ich sie durch das Glas auf dem fernen Grat, hinter sich etwa zwei Drittel der Strecke bis zur Kapelle. Erst nach einer Weile
Suchens entdecke ich die Kinder, den sechsjährigen Jungen und das achtjährige Mädchen - gut fünfzig Meter hinter die Eltern zurückgefallen.
Ich aber bin um die Erfahrung reicher, daß der Glaube nicht nur Berge versetzt, sondern sie auch erklimmen läßt, jedenfalls hier auf dieser Insel.
Still under siege
Gibt es einen traurigeren, einen verlasseneren Ort als The Fountain, die protestantische Restenklave im Westen von Londonderry? Hier leben noch 2000 von einst 20000 Unionisten. Die anderen haben sich auf das rechte, das Ostufer des Foyle River verzogen, nach Waterside.
Wann immer ich hier war, egal zu welcher Tageszeit, Menschen ließen sich nur selten blicken, gerade als befände sich das Viertel der letzten Unionisten in einem Zustand ständiger Verteidigung, beherrscht von einer Wagenburgmentalität, für die nach wie vor die Parole gilt: still under siege - noch immer im Belagerungszustand!
Die Protestanten, die auf dem linken Ufer des Flusses geblieben sind, sozusagen die konfessionelle Diaspora von London-derry-Waterside, harren hier freiwillig aus, unter 80 000 Katholiken ein Brückenkopf, durch den noch nicht alles verloren ist. Demonstrativ trutzig geben sie sich mit ihrer hartnäckigen Anwesenheit, wie die loyalistischen Embleme, die Wandgemälde, der Union Jack, die Flaggen und die Wimpel zeigen - manches davon noch die Dekoration vom i2.Juli, der nun fast auf den Tag einen Monat zurückliegt.
Riesengraffiti fangen den Blick: »The Fountain Londonderry« - »Vita Veritas Victoria« - Leben, Wahrheit und Sieg an den Fahnen der Fountain-Leute. An einer anderen Wand droht eine rote Hand, darüber »The brave Thirteen«, die Namen der dreizehn Tapferen, die im Kampf mit der IRA getötet worden sind - Cunningham, Morrison, Hunt, Spike und neun andere. Ich schaue mich um, suche, aber wieder ist kein Mensch zu sehen.
Sonst sieht es hier nicht anders aus als in katholischen Vierteln auch, in der Bogside, Creggan, Brandy well - kahle Mietshäuser, trostlose Fassaden, auf den Straßen kein Baum, kein Strauch, von den Wänden bröckelt Putz. Hier wie dort wohnen keine reichen Leute, sondern ordinary people, wie sie sich selbst zu nennen pflegen.
Nur daß in The Fountain die Bordsteine des Viertels angestrichen sind, blau, weiß und rot, also in den Farben der Unionisten. Und dieser Unterschied zählt immer noch mehr als die Zugehörigkeit zur gleichen sozialen Schicht.
Jetzt kommt aus einem der Häuser eine Frau mit einem Besen, fegt damit unkonzentriert, schaut mißtrauisch zu mir herüber und verschwindet rasch in der Tür.
Im Vorgarten nebenan ist ein Schild in den Boden gerammt -»No surrender«. Es muß hier schon lange stehen, denn Buchstaben und Farben, blau, weiß und rot, sind stark verwaschen. Es wirkt, als hätte sich lange niemand darum gekümmert.
Aber es wegzutun, daran denkt auch niemand.
Das Pendant zu diesem Schild - »No surrender« - entdecke ich neben dem Kriegerdenkmal des Diamond, Zentrum des historischen Londonderry, in der Hand eines jungen Mannes, der es unbewegt in Richtung Butcher’s Gate hält. Dort am Schlachtertor sehe ich weithin lesbare Transparente entrollt - »No sectarian parades« (»Keine sektiererischen Paraden«) und »Re-rout sectarian parades« (»Lenkt die Paraden der Sektierer um«).
Wieder fühle ich mich an Portadown erinnert - was geht hier vor?
Auf der Mauer über dem Tor drängt sich eine Menschenmenge in gespannter Haltung, während unten, sowohl an der Innenseite des Walls als auch draußen, auf der Straße in die Bogside, die RUC aufgefahren ist - Mannschaftswagen, Motorräder, Polizisten mit Schutzhauben und Sturmriemen - höchst beunruhigende Bilder.
Der 12. August wirft seine düsteren Schatten voraus.
Das ist der Tag, an dem zur Erinnerung an die Rettung der Stadt vor den
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