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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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anderes hat, das aber in der Schule ist. Er ist 35 Jahre alt, von Beruf Elektriker, jedoch schon lange ohne Arbeit. Alle vierzehn Tage erhält er vom Staat 90 Pfund, also umgerechnet etwa 220 Mark.
    Jetzt sagt er: »Ich möchte das noch einmal bestätigen - das Schicksal der Protestanten in einem vereinten Irland wäre kein anderes als das einer privilegierten Minderheit. Nichts von dem, was sie uns angetan haben, würden wir ihnen antun oder könnten wir ihnen antun.« Dann, nachdrücklich: »Nur eines wäre sicher, die Polizei, so, wie sie jetzt ist, die müßte aufgelöst werden, daran führt kein Weg vorbei - die RUC müßte verschwinden.«
    Jetzt turnt der Kleine auf dem Vater herum, kräht, hat genug vom Stillsein. Ein großes Tier bricht herein, eine Mischung aus Labrador und Schäferhund, in dessen dicke Halskrause sich die Händchen des Kleinen sofort verkrallen. Dann tollen die beiden juchzend und kläffend auf dem teppichlosen Fußboden. Es ist ein armer Haushalt, Geld fehlt, man merkt es an allem. Mir ist Tee angeboten worden, aber ohne Zucker - das erste Mal. Nirgendwo sonst hatte ich so sehr das Gefühl, Eindringling zu sein, wie hier, obwohl ich auf das freundlichste behandelt werde - trotzdem.
    Zeit zu gehen. Zum Schluß die lange aufgeschobene Frage: »Und wie stehen Sie zum Waffenstillstand?«
    Darauf Judith D., prompt, mit lebhafter Gestik: »Ich will es nicht so haben wie davor. Wer wollte das schon? Aber eine Entwaffnung der IRA vor gesicherten Verhandlungsergebnissen, damit wäre ich nicht einverstanden.«
    »Die Briten wissen, daß diese Forderung nicht erfüllt wird, nicht erfüllt werden kann«, ergänzt Martin L., »sie ist aufgestellt worden, um Verhandlungen zu verzögern oder überhaupt unmöglich zu machen.«
    Judith D. begleitet mich zur Tür. Beim Abschied sage ich: »Sie sind eine starke Frau. Gibt es irgend etwas, das Sie umwerfen, Sie aufgeben lassen könnte?« Sie läßt die Türklinke los, denkt eine Weile nach und antwortet dann, verhalten: »Wenn eines meiner Familienmitglieder durch die IRA umkommen würde - das würde auch mich töten, innerlich. Aber an meinen Idealen würde sich nichts ändern.«
     

Eigentlich geschieht hier etwas Unglaubliches
     
    Die Hecken, die grünen Matten, die stoppelbestandenen Felder, das leuchtende Weiß der Häuserfronten, die weidenden Rinder und Schafe - wunderschön ist die Landschaft zwischen Strabane und Omagh, und kein Unterschied zu entdecken zu den Fluren der midlands in der Republik.
    Ich habe mir angewöhnt, mich in meinen alten Ford zu setzen und aufs Geratewohl in die Landschaft zu fahren.
    Von der A 5 auf die B 122, Nebenstraße einer Nebenstraße, nach Fintona - Hügel, Bergzüge unter flirrender Sonne, unzählige Krähen auf den gemähten Feldern, saubere Häuser, die asphaltierte Straße kurvig, dies vorgegeben von der Trasse alter Feldwege, alter Landstraßen und ihnen gehorsam folgend.
    Dann über Fivemiletown und Maguiresbridge, schon im County Fermanagh, nach Lisnaskea, eine der Ortschaften, die gern Provinznester genannt werden und zu denen ich mich um so mehr hingezogen fühle, je älter ich werde.
    Aber dort stoße ich auf einen Anblick, auf den so niemand, der nicht schon einmal hier gewesen ist, vorbereitet sein kann: auf eine gewaltige, braungestrichene, gut zwölf Meter hohe Metallumzäunung von den Ausmaßen eines Häuserblocks, eine Anlage, die sogar noch die Festung an der Falls Road vor dem Belfaster Middletownfriedhof in den Schatten stellt - so reckt sich nun die Lisnaskea RUC Station vor mir hoch, das Ulster Constabulary Subdivisional Headquarter, Counties Fermanagh and Tyrone, Polizeihauptquartier zweier Grafschaften.
    Links vom großen Tor findet sich hinter Glas Gedrucktes, Wer-bung für die RUC, die verheißt »Stolz ohne Vorurteile«, »Nimm die Herausforderung an«, »Vertraue deiner Polizei«. Dann Statistisches: die Zahl der Verkehrsunglücke im letzten Halbjahr, der Toten und Verletzten, sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Unfällen; die Zahl der Festnahmen wegen Drogen und andere Kriminalfälle - weiter komme ich nicht. Denn aus dem Tor tritt ein Polizist, begrüßt mich freundlich, wenn auch mit einem Unterton von Mißtrauen, und fragt, ob er mir helfen könne. »Das können Sie«, nehme ich mir ein Herz zu sagen, »ich schreibe ein Buch über Irland und möchte etwas über diese Anlage wissen« -ziemlich sicher, daß dieser spontane Wunsch nicht erfüllt wird. Um so überraschter bin ich, als der

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