Mein Ist Die Nacht
diesmal war die
Stille trügerisch. Da draußen lief ein wahnsinniger
Mörder frei herum.
»Ich bin in zehn
Minuten fertig«, sagte sie, als Micha schwieg.
»Und
dann?«
»Fahren wir raus
zum Tatort. Vielleicht finden wir diesmal eine Spur, die uns zu ihm
fuhrt.«
»Da ist es
dunkel wie im Bärenarsch«, wagte Micha einen zaghaften
Einspruch.
»Es wird auch
bald wieder hell. »Schwing deinen Hintern hierher. Ich stehe
in zehn Minuten vor dem Haus und warte auf dich.« Bevor er
etwas erwidern konnte, legte Franka auf. Eilig verschwand sie im
Bad, drehte die Heizung auf und wusch sich mit kaltem Wasser das
Gesicht. Nachdem sie einigermaßen munter war, bürstete
sie das lange schwarze Haar und bändigte es mit einer Spange.
Danach putzte sie schnell die Zähne, machte einen Halt in der
Küche und trank ein kaltes Glas Milch. Dazu gab es
Butterkekse. Kauend betrat sie das Schlafzimmer und nahm die Sachen
vom Stuhl, die sie sich bereitgelegt hatte. Manchmal war ihr Job
vergleichbar mit dem eines Feuerwehrmannes. So schnell es ging,
schlüpfte sie in ihre Klamotten, schnappte sich Schlüssel
und Handy und war im nächsten Moment draußen an der
Luft. Sie hatte sich eine Mütze aufgesetzt und den dicken
Wollschal, den ihr Mutter letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt
hatte, um den Hals gewickelt und bis zur Nase hochgezogen. An den
Händen trug sie dicke Handschuhe, und die Füße
steckten in fellbesetzten Moonboots. Derart vermummt trat sie an
den Straßenrand, als der Dienstwagen des KK 11 um die
Straßenecke bog. Micha schien es eilig zu haben. Schliddernd
kam der Audi auf der dünnen Schneedecke zum Stehen. Franka
riss die Tür auf und steckte den Kopf in den Wagen. »Wo
bleibst du denn?«, fragte sie mit ernster Miene und stieg
ein.
Während der Fahrt
in den Norden der Stadt berichtete Micha ihr, was er wusste.
»Bei der Toten handelt es sich um Daniela Sauer, eine junge
Architektin hier aus der Stadt. Die Kollegen haben auch schon
recherchiert. Sie war auf dem Rückweg von Berlin. Scheint eine
Karrierefrau gewesen zu sein, recht erfolgreich. Eine Kollegin, die
mit ihr im Auto sitzen sollte, fehlt aber noch.«
»Moment«,
rief Franka und massierte sich die Schläfen. »Das
bedeutet, sie war nicht alleine unterwegs,
richtig?«
»Richtig«,
nickte Micha. »Aber im Wagen war nur sie aufzufinden. Von der
Kollegin, einer gewissen Sabine Haderstedt, fehlt jede Spur. Wir
fahnden bereits nach ihr.«
»Da gibt es nur
zwei Möglichkeiten: Entweder, sie ist gar nicht erst
mitgefahren, als die Tote den Heimweg antrat - warum auch immer -
oder… sie irrt irgendwo in der Pampa herum, vielleicht, weil
sie unter Schock steht.«
»Oder sie liegt
tot in der Pampa herum, weil unser Mörder sie auch auf dem
Gewissen hat, sie aber noch nicht gefunden wurde.«
Das Gebläse des
Audi lief auf Hochtouren, und aus dem Radio erklang leise das
Nachtprogramm der ARD. Micha starrte hinaus in die Lichtlanzen der
Scheinwerfer und dachte nach. »Vielleicht sollten wir einen
Hubschrauber mit Wärmebildkamera zum Fundort der Leiche
bestellen. Sollte die andere Frau tatsächlich noch unterwegs
sein, wird sie sich den Tod holen. Falls sie noch nicht von diesem
Wahnsinnigen ermordet wurde.«
62
4.50
Uhr
Diesmal hatte Clay auf
einem kleinen Wanderparkplatz in einem Wald nahe der Ortschaft
Schee zugeschlagen. Als Micha den Audi über den schmalen Weg
lenkte, der die Straße Einern mit dem Platz im Wald verband,
schnürte sich Frankas Kehle zu. Den einsamen Parkplatz im
Wald, auf dem das schreckliche Verbrechen geschehen war, kannte
sie. Niemals hatte sie gedacht, von ihrer eigenen Vergangenheit
eingeholt zu werden.
Ausgerechnet hier,
dachte sie und hoffte, dass Micha nicht mitbekam, wie
aufgewühlt sie plötzlich war. Niemals hätte sie
gedacht, dass der Fall der Bestie sie in ihre eigene Vergangenheit
entführte. Sie zitterte leicht, als Micha den Dienstwagen auf
dem Parkplatz zum Stehen brachte.
»Chaosphase«,
kommentierte er mit einem müden Grinsen, während er die
Fahrertür aufstieß und mit dem Kinn auf das Treiben
deutete. Die Kollegen standen zusammen und tauschten die ersten
Informationen aus, ein Notarzt war ebenfalls bereits
anwesend.
Nur zu gut erinnerte
sich Franka an diesen Ort.
Tagsüber war der
Parkplatz Ausgangspunkt für unzählige Spaziergänger
und Jogger, die sich am Stadtrand in der Natur erholen wollten.
Nachts hingegen war es ein verschwiegener Ort, an den sich kaum ein
Mensch verirrte. Seitlich parkte ein
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