Mein Ist Die Nacht
Blutes.
Sie hatte gut
geschmeckt. Zart und fein war ihr Fleisch, wie edler Thunfisch oder
zartes Hühnchenfleisch. Sie war eine Delikatesse.
Seine Hände
glitten erneut über den leblosen Körper der jungen Frau.
Das Gefühl der Macht beherrschte ihn. Er hatte ihr gezeigt,
wer das Sagen hatte. Er hatte über Leben und Tod bestimmt und
sich für ihren Tod entschieden. Dieser Gedanke der Macht
erregte ihn. Er berührte sich. Lange und immer
heftiger.
Sie spürte nichts
mehr von dieser Demütigung.
7
20.30
Uhr
Um diese Zeit trieben
sich düstere Gestalten auf der Straße herum, und immer
wieder blickte sie sich ängstlich um. Doch da war niemand, der
ihr in der Dunkelheit der Hofeinfahrt in ihrem Rücken
auflauerte. Feierabend, dachte sie erleichtert, als sie vor die
Tore der alten Textilfabrik trat. Bizarr malte sich das
Backsteingebäude vom Nachthimmel der Stadt ab. Im Hintergrund
schälte sich das Gerüst der Schwebebahn aus dem Grau der
Nacht. Ob die Bahn noch fuhr, wusste sie nicht, aber sicherlich
hatten die Verkehrsbetriebe längst den Linienbusverkehr
eingestellt. Sie schüttelte den Kopf, als sie sich an einen
Zeitungsartikel erinnerte, in dem gestanden hatte, dass die
Gelenkbusse der Stadt mit Sommerreifen ausgestattet waren. Kein
Wunder, dass, sobald in der Stadt mehr als eine Flocke fiel, an
jeder kleinen Steigung die Busse des öffentlichen
Linienverkehrs quer standen, und nichts mehr ging.
Gut, dachte sie, gehe
ich halt zu Fuß.
Der Fußmarsch an
der frischen Luft würde ihr sicherlich gut tun, und so
schrecklich weit bis zu ihrer Wohnung, die im Stadtteil
Wichlinghausen lag, war es nicht.
Sie war mal wieder die
letzte gewesen, hatte im buchstäblichen Sinne das Licht in der
Firma ausgemacht, den hellblau geblümten, altmodischen Kittel
gegen den dicken Wintermantel getauscht und wollte nur noch nach
Hause. Eigentlich machte sie gern Spätschicht in der Fabrik.
Man wurde nicht ständig beobachtet und abgelenkt, und auch die
hohen Herren der Geschäftsleitung waren längst zu Hause
und ließen sie in Ruhe ihre Arbeit machen.
Trotzdem überkam
sie jetzt eine schwere Müdigkeit, die auch nicht verflog, als
sie in der frischen Nachtluft stand. Ein wenig unschlüssig
stand sie am Straßenrand der vierspurig ausgebauten
Straße und lugte zur beleuchteten Bushaltestelle
hinüber. Doch es gab keine Spuren im Schnee der Fahrbahn, die
darauf schließen ließen, dass hier in der letzten
Stunde auch nur ein einziger Bus gefahren war.
Ihre Wangen
glühten, und sie freute sich auf ihre Wohnung und auf ihr
Bett. Niemand erwartete sie. Walter war letztes Jahr gestorben.
Verdammter Krebs. Sie fragte sich, warum die Menschen zum Mond
fliegen konnten, warum sie alle Computer, die es auf der Welt gab,
miteinander vernetzen konnten und sie fragte sich, warum es
trotzdem kein Heilmittel gegen diese heimtückische Krankheit
gab. Sie verfluchte die Ärzte, die mit der Behandlung von
todkranken Patienten wahrscheinlich mehr Geld verdienen konnten als
an einer effektiven Heilung. Die Einsamkeit griff mit eisigen
Krallen nach
ihr.
Vor die Tür ging
sie selten nach Einbruch der Dunkelheit, denn sie wusste sehr wohl,
dass die Welt schlecht geworden war. Das Verbrechen lauerte
überall, und sie hatte nicht die geringste Lust darauf, eine
Messerklinge in ihrem Rücken zu spüren. Immer wieder warf
sie ängstliche Blicke über die Schultern, betrachtete
jeden Schatten, der nach ihr zu greifen schien. Lena Hille wollte
einfach nur schnell den Schutz ihrer Wohnung erreichen, spürte
das Herz panisch in ihrer Brust schlagen und beschleunigte ihre
Schritte.
Sie zog den Schal
fester zu und machte sich, wie von einer unsichtbaren Macht
getrieben, auf den Heimweg. Sie marschierte ein Stück der
Friedrich-Engels-Allee entlang und registrierte, dass sie kein
einziges Fahrzeug sah. Auf den Straßen herrschte kaum
Verkehr. Eine matschige, grauweiße Schicht hatte sich
über Wuppertal ausgebreitet. In den letzten Stunden war es ein
paar Grad wärmer geworden, und der Schnee hatte sich so
schnell, wie er gefallen war, in eine nasse Pampe
verwandelt.
So weit ist es nun
auch wieder nicht, machte sie sich Mut.
Ihre Schuhe waren
schon nach den ersten Metern durchnässt, und sie
fröstelte. Jeder Schritt erzeugte ein Patschen unter ihren
Gummisohlen. Ein Fahrzeug näherte sich mit rasselnden
Schneeketten.
War doch noch ein Bus
unterwegs?
Hoffnung keimte in ihr
auf. Der große Dieselmotor wummerte dumpf durch die
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