Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Jahr als Mörder

Mein Jahr als Mörder

Titel: Mein Jahr als Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
gefasst, die Begriffe Opfer des Faschismus (OdF) und Politisch / rassisch Verfolgte (prV) verschwinden, jetzt regelt ein Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (BEG) den Schaden an Leben und den Schaden an Freiheit. Also macht sie mit einer jungen, engagierten Anwältin im Herbst 1954 einen neuen Anfang. Es geht um Georgs Rehabilitierung und ihre Ehre, sie besteht auf dem alten Wort Ehre.
    Sie muss die wirtschaftliche Stellung Georgs in den letzten Jahren vor seinem Tod belegen, seine Einkünfte ermitteln, als Oberarzt in Moabit, als Dozent an der Universität, als Arzt mit Privatpraxis in der Landhaus-Klinik. Sie muss Georgs frühere Kollegen aufspüren, die ihr Bescheinigungen über seine Tätigkeit ausstellen und das Gehalt errechnen. Steuererklärungen aus den Jahren 1939 bis 1944 werden verlangt. Nachweise, dass sein Tod in ursächlichem Zusammenhang mit der Verfolgung stand. Das Todesurteil ist verschollen. Robert baut seinen Fotoapparat im Wohnzimmer an der Stalinallee auf, legt sein Urteil auf den Teppich und fertigt eine Kopie an. Sie muss eidesstattliche Versicherungen über die Verhaftung, über die Haussuchung und die von der Gestapo entwendeten Gegenstände beibringen. Über den Widerstand weiß man in den Ämtern nichts, das hat sie inzwischen gelernt, also legt sie ein Buch bei, aus dem Westen, Weisenborns Der lautlose Aufstand, in dem die Europäische Union und Georgs Rolle gewürdigt werden. Kein Antrag ohne Heiratsurkunde, Geburtsurkunden der Kinder, Sterbeurkunde. Mietkosten und Einkommensverhältnisse darlegen. Außer dem Schaden an Leben kann sie Schaden an Freiheit, an Eigentum und Vermögen und Schaden im beruflichen Fortkommen geltend machen. Zum guten Schluss ein Zusatzfragebogen: In welcher Nazi-Organisation? Also die Frauenschaft, das soll nicht verschwiegen sein. In welchen kommunistischen Organisationen? Keine, auch nicht im Kulturbund, dem FDGB oder in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, nein. Aber so schnell lassen die nicht locker: Haben Sie sich seit dem 9. 2. 1951 kommunistisch betätigt oder haben Sie seitdem die Zwecke der kommunistischen oder sonstiger volksdemokratischer Organisationen gefördert oder einer solchen Organisation angehört? Nein. Wenn ja, welcher? Strich. Datum. Unterschrift.
    Ein Jahr dauert es, bis die beiden Frauen die Unterlagen beisammenhaben. Ungezählte Telefonate, Briefe, Bürogänge, Wartestunden. Harte Arbeit, aber nun ist alles ordentlich bewiesen und beglaubigt, endlich können sie die Papiere mit den entsprechenden Anträgen der Söhne im September 1955 beim Entschädigungsamt Berlin einreichen.
    Das Amt wird ein paar Monate brauchen, Frau Groscurth freut sich auf die Pause im Kampf mit der Hydra. Sie möchte das Wort Kampf vergessen, sie hasst das Kämpfen, sie mag das Wort nicht, das sie ihr im Osten zuschreiben, Friedenskämpferin, ebenso falsch-pathetisch wie der Begriff Widerstandskämpfer, der im Westen sich einbürgert. Lieber sagt sie: die Anständigen. Nach vier Jahren pausenloser Verteidigung gegen die Hydra der Ämter und Gerichte ist sie völlig erschöpft, seit dem Krieg konnte sie sich nur kurze Ferien im Osten oder in Wehrda leisten, sie träumt von Erholung, fern von Deutschland. Da kommt ein Geschenk des Himmels, die Einladung zu einem Kongress nach Davos im März, eine Woche Fortbildung, Bergluft, die Pharmafirma zahlt, sie braucht nur den Reisepass und füllt auf der Meldestelle den Antrag aus.
    Die Hydra aber schläft nicht, lässt sie nicht aus den Augen, lässt sie nicht entwischen. Die Hydra im Briefkopf des Polizeipräsidenten teilt ihr am 23. November 1955 mit, für Leute wie sie gebe es keinen Pass: Ihre bisherige politische antidemokratische Aktivität rechtfertigt die Annahme, daß Sie als Paßinhaberin erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin gefährden.
    Die Hydra lässt sich sogar herab, die Gründe zu nennen: der Groscurth-Ausschuss, eine Reise in die unter polnischer Verwal-tung stehenden deutschen Gebiete, den «Vaterländischen Verdienstorden» und die Clara-Zetkin-Medaille der DDR.
    Sie haben gute Spione, aber keine Ahnung, sagt sie der Anwältin, alles verkehren sie als Munition gegen mich. Der Orden ist ihr, stellvertretend für Georg, für den Widerstand gegen die Nazis gegeben worden. Hätte sie den ablehnen sollen, nur um sich hier Scherereien zu ersparen? Also den Widerstand leugnen aus Opportunismus? Bei so viel Hass, der auf sie

Weitere Kostenlose Bücher