Mein Jahr als Mörder
niederregnet, einmal eine kleine Anerkennung, warum gönnt man ihr nicht mal das? Und die Zetkin-Medaille ist für mutige Frauen, damit hat Havemann ihr was Gutes tun wollen, als sie sich aus dem Ausschuss zurückzog. Und die Reise nach Polen, die ging nicht in deutsche Gebiete, sondern nach Auschwitz, mit anderen Leuten aus dem Widerstand, vor allem aus Frankreich. Gefährdet ein Auschwitz-Besuch jetzt auch schon die Bundesrepublik? Und der Ausschuss, den sie längst verlassen hat, der längst eingeschlafen ist, werden sie ihr den ewig und drei Tage Vorhalten?
Wieder ein Klage-Schriftsatz, der vierte nach Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht, Verwaltungsgericht wg. Entschädigung, jetzt wieder beim Verwaltungsgericht für das Recht auf den Pass.
Die Hydra beim Polizeipräsidenten kontert mit den alten Argumenten der Arbeitsgerichte, mit langen Zitaten aus Ostberliner Zeitungen über den Groscurth-Ausschuss, als wäre Frau Groscurth für die Formulierungen der Parteipresse verantwortlich, als wäre sie Ulbricht, nur schlimmer als Ulbricht, weil sie sich tarnt, und noch viel schlimmer, weil sie nicht bei Ulbricht lebt.
Also wieder antworten, alles nochmal von vorn. Anneliese bewundert die Geduld ihrer Anwältin vor der Sturheit der Hydra: Rechtshilfe als Aufgabe des Groscu rth-Ausschusses, Beweise, dass sie damit schon lange nichts mehr zu tun hat, mit den Schriften sowieso nicht, immer wieder Georgs Widerstand. Immer wieder der Versuch, ihre Position zu klären: Wenn die Klägerin sich verpflichtet fühlt, das ihrige dazu zu tun, um in dem unglücklichen Kampf zwischen Ost und West Übergriffe zu verhindern oder an das Gewissen aller beteiligten Kreise zu appellieren ... Das Gewissen, das hört sie gern, die Hydra. Und wieder: keine Kommunistin, sondern Pazifistin, die auf Grund ihrer bitteren Erfahrungen in den Kontakt mit jenen Kreisen gekommen ist, die ihrer Meinung nach gegen Faschismus und Terror und für den Frieden kämpfen.
Wieder spuckt das Monster ein Urteil aus, im Februar 1956. Die Klage wird abgewiesen, die Kosten trägt die Ärztin: kein Reisepass. Statt Erholung in Davos das Gift von Berlin.
Hat da jemand vom Verwaltungsgericht etwas anderes erwartet als von den anderen Köpfen der Hydra? Die Argumente und Verdrehungen der Arbeitsgerichte, zugespitzt vom Polizeipräsidenten, werden von den Verwaltungsrichtern noch einmal zugespitzt. Gerade weil Frau Groscurth als Witwe eines ermordeten Nazi-Gegners besonders vertrauenswürdig sei und in anderen Ländern Gehör und Verständnis finden werde, fürchten die Richter, dürften ihre gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung gerichteten Schilderungen über die Bundesrepublik und Berlin Glauben finden. Auch das sei ein Grund, ihr keinen Reisepass zu geben.
Für die Reise in die Schweiz ist es längst zu spät, aber sie will nicht in Deutschland eingesperrt sein, also die 5. Klage, Berufung beim Oberverwaltungsgericht. Die Anwältin bittet, Frau Groscurth endlich als die zu sehen, die sie sei, eine Frau, die weitere Kriege verhindern will. Wieder ein Appell an das demokratische Verständnis der Hydra: Es gehört aber zur Haltung echter Demokratie, auch einem politisch Andersdenkenden seine Meinung zu belassen und ihn nicht die Stärke der überwiegenden Meinung fühlen zu lassen.
Da fällt der Hydra etwas Neues ein: die Sache hinschleppen, den Gegner zermürben. Das Oberverwaltungsgericht stellt eine Reihe von Fragen zum Ausschuss: Welche demokratischen Rechte sollen geschützt werden? Welche Satzung hat der Groscurth-Ausschuss? Was sind Patrioten? Was sind Kriegshetzer? Was sind, bitte schön, Faschisten?
Auch das beantwortet sie, widerwillig, müde, gewissenhaft.
Kaum hat sie die Hausaufgaben gemacht, um das Recht jedes Bürgers auf einen Pass zu erstreiten, da schneit ihr wenige Tage vor Weihnachten 1956 der Bescheid des Entschädigungsamts ins Haus: Alle Anträge, Belege, Dokumente umsonst - nichts, kein Pfennig für Georgs Verfolgung und Ermordung, weil sie sich im Ausschuss für die Volksbefragung betätigt, damit die Grundordnung bekämpft und einer Gewaltherrschaft Vorschub geleistet habe.
Die Hydra gibt nicht nach, der Vorrat an Gift ist unermesslich, sie will ihr Opfer erschöpft und winselnd am Boden sehen. Anneliese hat keine Wahl, sie muss noch einmal klagen, ein letztes Mal, denn diesmal geht es nicht gegen verbohrte Arbeitgeber, nicht um das Recht auf einen Pass, jetzt geht es um Georg.
Wieder eine Klage, die sechste, im März
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