Mein Leben
hatten, und »Dobell’s« in der Shaftesbury Avenue, in der es eine extra Ecke für Folkways gab, das wichtigste Label für Folk, Blues und traditionelle Musik. Wenn man Glück hatte, traf man in einem der Läden einen Musiker, der dort arbeitete und der einem, wenn man seine Vorliebe für Muddy Waters bekannte, vielleicht den Tipp geben konnte: »Na, dann musst du dir mal Lightnin’ Hopkins anhören.« Und schon war man in einer neuen Richtung unterwegs.
Die Musik nahm mich so in Anspruch, dass meine Leistungen an der Kunsthochschule darunter leiden mussten. Das war meine eigene Schuld, denn anfangs hatte mich die Vorstellung von einem Leben für die Kunst durchaus fasziniert. Malen und bis zu einem gewissen Grad auch Design hatten mich gepackt. Ich war ein guter Zeichner, und so hatte man mir zu Beginn meines Studiums einen Platz am Institut für Grafikdesign angeboten, den ich annahm, anstatt mich der bildenden Kunst zuzuwenden. Aber schon sehr bald wurde mir klar, dass ich dort völlig verkehrt war. Meine Motivation verflog zusehends, vor allem wenn ich mittags in der Mensa die langhaarigen, mit Farbe bekleckerten und völlig abgehobenen Kunststudenten traf. Sie genossen praktisch die totale Freiheit, ihr Talent als Maler oder Bildhauer zu entwickeln, während ich jeden Tag Aufgaben wie das Design einer Waschmittelpackung oder den Entwurf einer Werbekampagne für ein neues Produkt gestellt bekam.
Abgesehen von der kurzen Phase, in der ich mit Glas arbeitete, Gravieren und Sandstrahlen lernte und mich für zeitgenössische Glaskunst interessierte, langweilte ich mich zu Tode. Musik war zehnmal aufregender, und obwohl ich die Kunst liebte, hatte ich das Gefühl, dass die Leute, die mich unterrichteten, aus einer akademischen Richtung kamen, mit der ich mich einfach nicht identifizieren konnte. Ich hatte den Eindruck, nicht auf eine Karriere in der Kunst, sondern in der Werbung vorbereitet zu werden, wo Verkaufstalent ebenso wichtig sein würde wie Kreativität.
Trotzdem traf es mich wie ein Schock, als man mir bei der Bewertung nach Ablauf des ersten Studienjahres mitteilte, dass ich nicht weiterstudieren durfte. Ich wusste, dass meine Mappe ein bisschen dünn war, glaubte jedoch ernsthaft, dass meine Sachen gut genug waren, um damit durchzukommen. Ich fand sie kreativer und phantasievoller als die Arbeiten der meisten anderen Studenten. Aber beurteilt wurde die Quantität, sodass ich und ein Kommilitone die Einzigen von fünfzig Studenten aus unserem Jahrgang waren, die rausgeschmissen wurden. Es traf mich völlig unvorbereitet, warf mich jedoch letztlich auf das einzige andere Talent zurück, über das ich verfügte.
Insofern war der Rausschmiss aus der Kunsthochschule nur ein weiterer Schritt zum Erwachsenwerden. Die plötzliche Erkenntnis, dass nicht zeit meines Lebens alle Türen für mich aufgehen, sondern einige auch zufallen würden, bedeutete emotional wie mental einen heftigen Absturz, der mich schwer ins Grübeln brachte. Als ich endlich den Mut aufbrachte, es Rose und Jack zu erzählen, waren sie bitter enttäuscht und beschämt, weil sie erfahren mussten, dass ich nicht nur ein Versager, sondern auch noch ein Lügner war. Wie oft hatte ich ihnen erzählt, ich sei in der Kunstschule, während ich in Wahrheit schwänzte, herumspazierte, Gitarre spielte oder in Kneipen hockte. »Du hattest deine Chance, Ric«, erklärte Jack mir, »und du hast sie vertan.« Er machte mir unmissverständlich klar, dass fortan von mir erwartet wurde, zu arbeiten und Geld nach Hause zu bringen, wenn ich weiter dort wohnen bleiben wollte. Wenn ich keinen Beitrag zum Lebensunterhalt beisteuerte, könnte ich ausziehen.
Ich entschied mich fürs Arbeiten und nahm einen Job als Jacks »Gehilfe« an. Ich bekam fünfzehn Pfund die Woche, was ein guter Lohn war. Jack war Stuckateur- sowie Maurer- und Schreinermeister, was bedeutete, dass er in all diesen Handwerken eine Meisterprüfung abgelegt hatte und entsprechenden Lohn und Respekt verlangen konnte. Für so jemanden zu arbeiten, war natürlich kein Spaß. Ich musste tonnenweise Gips, Mörtel und Zement anmischen und fix an Ort und Stelle bringen, damit er mauern oder verputzen konnte, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Einer unserer ersten gemeinsamen Jobs war die Grundschule in Chobham, wo mir die anspruchsvolle Tätigkeit zufiel, die Trogmulde mit halbflüssigem Mörtel möglichst schnell eine Leiter hinauf auf ein Gerüst zu schleppen, damit Jack eine gerade Reihe Ziegel
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