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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Omar Nasiri
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Menschen, die er zeichnete, wiesen eine Gemeinsamkeit auf: Sie hatten kein Gesicht.
    Ich fragte Abdul Kerim viele Male, ob etwas nicht in Ordnung sei. Meist winkte er nur kurz ab. Aber eines Abends gab er plötzlich zu, er sei sehr deprimiert, weil ihn die französische GIA in die Lager geschickt habe, damit er dort zum Mudschahid werde. Er wolle unbedingt zum Märtyrer werden, sagte er. Aber ein Mensch hielt ihn davon ab: seine Tochter. Wenn er starb, würde seine Tochter von seiner Exfrau großgezogen werden, die tahout war. Es würde niemanden mehr geben, der das Kind zur Muslimin erzog.

ABU DSCHIHAD
    Abdul Kerim kannte das Lager schon gut und zeigte mir alles. Auf einer Seite standen einige Schuppen, die in tiefen, eigens ausgehobenen Gruben errichtet worden waren. Dort waren die einzelnen Komponenten für die Herstellung von Sprengstoffen gelagert. Diese Bombenbestandteile wurden getrennt voneinander aufbewahrt, damit sie nicht unkontrolliert miteinander reagierten. In diesen Schuppen war jeder einzelne Behälter sorgfältig beschriftet: Azeton, Salpetersäure, Schwefelsäure, Ammonium, Zellulose, Aluminiumpulver, Holzmehl und andere Zutaten.
    Die Labors lagen etwa fünfzig Meter hinter diesen Schuppen, fast am Rand des Lagers. Eines war für die Ausbildung mit Sprengstoffen bestimmt, ein weiteres für den Umgang mit Giften. Ein drittes war voller Versuchskaninchen.
     
    Aber es war kein Ausbilder vorhanden, der uns in den Umgang mit Sprengstoffen einweisen konnte, also hatten wir den größten Teil des Tages zu unserer freien Verfügung. Manchmal fuhren wir nach Jalalabad und gingen dort auf den Markt. An anderen Tagen wiederum sahen wir uns in der Moschee Filme an. Es gab eine riesige Auswahl an Propagandavideos, die wir uns jederzeit ansehen konnten. Filme hatte ich immer gern gesehen, und jetzt fiel mir auf, dass mir das Fernsehgerät in Khaldan gefehlt hatte. In diesen ersten Wochen in Derunta verbrachte ich sehr viel Zeit in der Moschee, wo ich mir die riesige Sammlung von Filmen über die Mudschahidin und ihren Krieg gegen die Russen zu Gemüte führte.
    Eines Tages traf ich in der Moschee auf Abu Mousa, den Kurden aus dem Irak. Wir sahen uns einen Film an, den ich damals bei meinen Besuchen im Centre Pompidou entdeckt hatte – den Film mit dem dramatischen Auftritt des Mudschahid, der auf dem Panzerturm steht, „Allahu Akbar!“ ruft und dabei seine Kalaschnikow hochhält. Ich sagte Abu Mousa, dies sei einer meiner absoluten Lieblingsfilme.
    „Ja, es ist ein großartiger Film“, pflichtete er mir bei. „Dieser Panzer ist erstaunlich.“Doch Abu Mousa lachte, als er das sagte, und ich fragte nach dem Grund dafür.
    „Siehst du das nicht? Das ist mein Panzer.“
    Und dann begriff ich, was er meinte: Es war der T-55, der im vorderen Teil des Lagers abgestellt war. Er sagte mir, er habe ihn bei einem Gefecht in Kabul erbeutet und selbst gefahren, als der Film gedreht wurde.
    Ich war verblüfft. Diese Filmszene hatte sich mir vor einem halben Jahrzehnt tief eingeprägt. Und als mich Abu Mousa fragte, ob ich lernen wollte, wie man einen Panzer fährt, ergriff ich die Gelegenheit.
    Abu Mousa brachte mir alles bei, was man über den T-55 wissen musste – wie man ihn fuhr, wie man mit dem Motor umging und wie man die Kanone bediente. Er ließ mich auch selbst fahren, sobald er den Eindruck gewonnen hatte, dass ich so weit war. Unter Abu Mousas wachsamen Augen fuhr ich auf einem flachen Geländestück in der Nähe des Lagers. Der Panzer war sehr schwer, und das Manövrieren war nicht einfach. Schon bald fuhr ich einen Hügel hinauf, in Richtung des Lagers, in dem die Kaschmirer lebten.
    Aus den Augenwinkeln sah ich einen heftig gestikulierenden Abu Mousa, der mir sofortiges Anhalten signalisierte. So schnell wie möglich trat ich auf die Bremse. Abu Mousa kam rasch zu mir und erklärte, der ganze Hügel sei noch voller Minen, eine Hinterlassenschaft der Sowjets. Ich hätte mich selbst in die Luft jagen können.
    Später „tröstete“ich mich selbst. Man konnte mir kaum einen Vorwurf machen, wenn ich von der vorgesehenen Fahrtroute abkam, dachte ich. Schließlich hatte ich erst wenige Monate zuvor meinen Führerschein gemacht.
     
    Abdul Kerim und ich waren einige Wochen lang die einzigen noch auszubildenden Rekruten des Lagers. Ansonsten bekamen wir nur Kämpfer der Hizb-i-Islami zu Gesicht, die ein paar Tage Fronturlaub hatten. Wir vermieden jedoch jede Unterhaltung mit diesen Leuten, denn man hatte uns

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