Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
nicke.
„Abgefahren!“ Sie zupft den Ausschnitt ihres T-Shirts zurecht und zeigt auf einen Korb, der neben ihr steht. „Ich hab Backmischungen mitgebracht. Wenn ihr noch Eier und Butter habt, können wir schnell noch was zaubern.“
„Ich glaub, wir haben genug. Billis Vater hat vorhin ein paar Blechkuchen und Brötchen vorbeigebracht. Aber komm mit in die Küche. Dann gucken wir mal.“
In der Küche herrscht ein derartiges Gedränge, dass Anna und ich einige Mühe haben, uns bis zum Kühlschrank durchzuschieben. Billi und Dina hocken auf der Fensterbank und grinsen uns entgegen. Neben Dina steht ein hübscher schwarzhaariger Junge und zwirbelt verträumt eine Haarsträhne von ihr zwischen den Fingern.
„Wer ist das?“, zischt Anna mir zu.
„Keine Ahnung“, sage ich. „Aber er ist süß!“
„Allerdings!“
Wir gucken uns an und prusten. Ich bin echt froh, dass Anna da ist. Und noch froher bin ich, dass es ihr anscheinend besser geht.
„Ich glaub, das Kuchenbacken haken wir ab“, rufe ich ihr zu. Ich muss rufen, weil der Lärmpegel um uns herum inzwischen wirklich hoch ist.
Sie nickt mir zu und stellt ihren Korb unter den Tisch.
„Vielleicht später, wenn die Küche leerer ist!“
Wir schieben uns zurück ins Freie.
„Wie halten Billi und Dina es dadrinnen aus?“ Ich nehme mir eine Bionade aus einer Kiste, die neben der Kellertreppe steht. Mit der anderen Hand wedele ich mir Luft zu.
„Wenn so ein schnuckeliger Typ an meinen Haaren rumdrehen würde, würde ich mich auch nicht vom Fleck rühren.“ Anna nimmt sich ebenfalls eine Flasche.
Kichernd stoßen wir an.
Um uns herum tauchen immer neue Leute auf. Einige kenne ich; manche von ihnen nur vom Sehen, andere gar nicht. Wir setzen uns auf eine Treppenstufe.
„Geht’s dir besser?“, frage ich nach einer Weile.
Anna lässt sich Zeit mit ihrer Antwort. Zuerst glaube ich, sie hat mich gar nicht gehört, doch dann schüttelt sie leicht den Kopf und sagt: „Ich weiß nicht so genau.“
Es klingt ratlos und auch ein bisschen traurig.
Ich gebe ihr einen kleinen Stups.
„Das vorhin … dass du Lukas zurückhaben willst und mit ihm schlafen würdest … “, sage ich vorsichtig. „War das ernst gemeint?“
Sie betrachtet die Flasche in ihrer Hand, als würde sie sich wundern, wie sie dorthin gekommen ist.
„Keine Ahnung“, sagt sie schließlich. „Aber ich glaub schon. Wen interessiert’s?“
Mich zum Beispiel, denke ich. Aber ich spreche es nicht aus.
Schweigend süffeln wir unsere Holunderbrause aus. Mir ist, als stünde plötzlich eine unsichtbare Wand zwischen Anna und mir. Als hätte ich eine Hand ausgestreckt und wäre an dieser Wand abgeprallt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass sie nicht über das Thema sprechen möchte. Jedenfalls nicht mit mir. Ihr Gesicht sieht mit einem Mal abweisend aus.
Als Phillip auftaucht, bin ich erleichtert.
„Hey, hier steckt ihr! Habt ihr keinen Hunger? Der Grill ist heiß. Wir wollen das Büfett aufbauen.“
Anna springt auf. Viel zu schnell für meinen Geschmack. Als wäre sie froh, von mir wegzukommen. Vielleicht ist sie’s auch. Schließlich liegt die Zeit, in der wir beste Freundinnen waren und alles geteilt haben – auch unsere Geheimnisse und unseren Kummer –, schon ein ganzes Weilchen zurück. Inzwischen gibt es Lukas. Oder soll ich sagen, gab es Lukas?
Auf jeden Fall ist etwas zwischen Anna und mir kaputtgegangen. Das Vertrauen, das wir früher zueinander hatten. Es war bedingungslos. Das ist es inzwischen nicht mehr, das spüre ich. Oder liegt das einfach daran, dass die Zeit vergangen ist? Vielleicht gehört es einfach dazu, Freunde ziehen zu lassen, wenn man älter wird, überlege ich. Vielleicht sollte ich langsam alt genug sein, um zu erkennen, dass jeder von uns sein eigenes Leben lebt; dass jeder seine eigenen Fehler macht und dafür geradestehen muss. Ich genauso wie die anderen. Vielleicht sollte ich einfach akzeptieren, dass Anna meinen Rat nicht mehr braucht. Und ich sollte aufhören, mich einzumischen.
Paul, mein ältester Freund, fälscht die Unterschrift seiner Eltern, lässt sich tätowieren und gibt sich die Kante. Und Anna, meine ehemalige beste Freundin, lässt sich von ihrem (Ex-)Freund verarschen und träumt vom ersten Mal.
Ja und? Sollen sie doch!
Die guten alten Zeiten sind vorbei, Conni Klawitter. Zeit, dein eigenes Leben zu leben!
Nachdenklich stelle ich meine leere Flasche in die Kiste und gehe mit Phillip hinaus, um das Büfett aufzubauen.
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