Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Anna ist in der Küche verschwunden. Vielleicht heult sie sich jetzt bei Billi und Dina aus. Vielleicht haben die ja mehr Verständnis für sie. Dabei hab ich ja Verständnis für Anna. Sehr großes sogar! Ich begreife nur nicht, warum sie immer noch an diesem Lukas hängt. Und warum sie ihn plötzlich zurückhaben will, nach allem, was er ihr angetan hat. Das ist doch echt nicht normal, oder?
Dass das erste Mal Sex keine besondere Bedeutung für sie hat, glaub ich ihr übrigens nicht. Das passt nicht zu Anna. Nee, da muss sie sich schon was anderes einfallen lassen.
Lena, Krischan und Paul stehen am Grill. Zu meiner Erleichterung hat Paul statt einer Bierflasche ein Glas Cola in der Hand. Das kleine Nickerchen im Liegestuhl scheint ihm gutgetan zu haben – auch wenn er sein T-Shirt verkehrt rum angezogen hat. Ist vielleicht aber auch besser so. Der Aufdruck MASTER OF DISASTER kam mir schon fast wie eine Drohung vor.
Lena umarmt mich, als sie mich sieht. Die Silberreifen und Armbänder, die sie sich um beide Handgelenke geschlungen hat, klimpern. Sie sieht aus wie eine Zigeunerin. Krischan nickt mir zu.
„Wollen wir die Salate und das Brot raustragen?“, fragt Lena mich. „Die Pizza ist auch längst fertig.“
„Ja. Am besten schneiden wir sie in Stücke und legen Servietten daneben“, schlage ich vor. „Dann kann sich jeder was nehmen. Gibt es Pappteller und Plastikbesteck oder sollen wir das Familiensilber nehmen?“, wende ich mich an Phillip.
„Das liegt im Tresor“, sagt er todernst, während er Paul hilft, die Koteletts zu wenden. „Im Keller findet ihr alles, was ihr braucht. Servietten, Plastikgabeln und so.“
Krischan gibt Paul und Phillip wertvolle Ratschläge für die einzig wahre Zubereitung von Grillfleisch. Die Jungs achten nicht mehr auf uns.
„Männer in ihrem Element … “, grinst Lena.
„Männer?“, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Wir verschwinden im Haus, in dem sich mittlerweile neue Gäste ausgebreitet und es sich so richtig schön gemütlich gemacht haben. Sie fläzen sich auf den riesigen Ledersofas und in den Sesseln im Wohnzimmer. Zwei haben ihre Füße auf den Tisch gelegt. Der Fernseher läuft. Irgendein Musiksender versucht, sich gegen die Anlage auf der Terrasse zu behaupten. Jemand raucht.
„Sollte Phillip das Haus nicht lieber abschließen?“, raunt Lena mir zu. „Oder wenigstens die wichtigsten Zimmer? Es reicht doch, wenn die Klos offen sind. Alles andere würde ich zusperren.“
Sie hat Recht. Wenn das so weitergeht, breiten sich die Leute überall aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Graf davon sonderlich begeistert wäre.
„Ich sag’s ihm gleich.“ Ich reiße ein Fenster weit auf und sage zu dem rauchenden Typen, dass er sich gefälligst nach draußen verziehen soll. Dann mache ich den Fernseher aus. Der vielstimmige Protest stört mich nicht im Geringsten. „Abflug, Leute! Musik gibt’s im Garten. Essen und Trinken auch.“
Ein paar von den Typen stehen tatsächlich auf und schleppen sich durch die Terrassentür ins Freie, als würde ihnen jeder Schritt unerträgliche körperliche Schmerzen bereiten. Die anderen bleiben, wo sie sind. Kopfschüttelnd stopfe ich die Fernbedienung in meine Jeans. Dann folge ich Lena in die Küche, die sich in der Zwischenzeit glücklicherweise ein wenig geleert hat.
Von Anna, Billi und Dina ist nichts zu sehen. Lena und ich verdonnern kurzerhand ein paar der zufällig Anwesenden zum Tragen der Pizza- und Kuchenbleche.
Ich schnappe mir mit einer Hand den Brotkorb, mit der anderen die Schale mit den Minifrikadellen. Lena balanciert zwei Salatschüsseln und schickt zwei Mädchen aus unserer Klasse in den Keller, um Servietten, Besteck und das Plastikgeschirr zu holen. Wir haben alles im Griff. Hoffe ich jedenfalls.
Das Büfett ist ziemlich schnell aufgebaut. Wir stellen noch Ketchup, Senfgläser und Grillsoßen dazu.
Keine Ahnung, ob es am Duft der Grillwürstchen und Koteletts oder an der Aussicht auf Pizza und Nudelsalat liegt. In Bruchteilen von Sekunden ist das Büfett so brutal umlagert, dass Lena und ich Mühe haben, uns aus dem Gedränge zu schieben.
„Haben die extra vorher nichts gegessen?“ Lena runzelt die Stirn. „Da haben Hyänen ja bessere Tischmanieren!“
Leider muss ich ihr zustimmen.
„Wir hätten Nummernkärtchen ausgeben sollen“, seufze ich. „Oder vielleicht lassen wir immer nur höchstens fünf Leute gleichzeitig ans Büfett?“
„Zu spät“, meint Lena
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