Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Seufzen, während er sein Rennrad aufschließt.
„Lach mal!“, fordert er mich auf.
Ich schiebe meine Augenbrauen zusammen, versuche ein ernstes Gesicht zu machen und muss leider trotzdem lachen. Mist.
Eine knappe Viertelstunde später sitzen wir tatsächlich auf unseren Plätzen in der letzten Reihe, schlürfen Cola aus Pappbechern und greifen gleichzeitig in den riesigen Popcorneimer, der auf der Armlehne zwischen uns steht. Der Vorspann hat gerade angefangen. Das Kino ist halb leer. Das Reservieren hätten wir uns locker sparen können, aber dafür haben wir die letzte Reihe fast für uns allein.
„Was gucken wir eigentlich?“ Phillip schnippt ein Popcorn in die Luft und fängt es mit geöffnetem Mund auf. Ich kann noch so viel üben, aber das schaffe ich nie! Nicht mit Popcorn, nicht mit Erdnussflips, nicht mit Gummibärchen.
„Den neuen Film mit Robert Pattinson“, raune ich ihm zu. Wie kann er das vergessen haben? Wir haben heute Vormittag in der Schule ewig lange hin und her diskutiert, weil er lieber was mit Vin Diesel sehen wollte!
„Sagt mir nichts“, behauptet er allen Ernstes. „Muss ich den kennen?“
Ich beuge mich leicht vor und starre ihn an, soweit das in der Dunkelheit des Kinos möglich ist.
„Vergiss es!“, kichert er. „War nur ’n Witz.“
Ich lehne mich wieder zurück und kuschele mich tief in meinen Sitz. Das Neustädter Kino ist uralt, aber gemütlich. Mit Phillip an meiner Seite ist es gleich noch mal gemütlicher – auch wenn der sich heute ein bisschen verhaltensauffällig benimmt.
Nach dem Film haben wir Hunger und beschließen, in den Citygrill zu gehen, um uns einen Döner zu genehmigen.
Phillip stapft schweigsam neben mir her. Ich nehme seine Hand. Er streichelt abwesend über meine Finger, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.
„Ist was?“, frage ich ihn.
„Was? Nee, alles klar“, versichert er schnell und schiebt die Tür zum Imbiss auf. „Was nimmst du?“
„Pomdöner“, sage ich. „Und ’ne Selters.“
Im Gegensatz zum Kino tobt im Citygrill das Leben. Kein Wunder, die Stadt hat sonst nicht viel zu bieten. Kein Jugendtreff, kein Internetcafé, kein Garnix. Bei schönem Wetter lungern die Kids am Sportplatz oder im Park herum, bei schlechtem versammeln sie sich im Citygrill, wo sie sich stundenlang an ihre Colas und Pommes klammern. Akin, der Wirt des Dönergrills, hat ein großes Herz für seine junge Kundschaft.
Wir nehmen unsere Döner und die Getränke in Empfang und gehen nach draußen, um an einem der Stehtische zu essen.
Phillip trinkt einen großen Schluck von seiner Cola und starrt in die Ferne. Zuerst denke ich, er hat vielleicht irgendwas Interessantes gesehen, aber in der Richtung, in die er starrt, ist nichts. Nur parkende Autos. Grinsend stupse ich ihn mit dem Ellbogen an und mache ihn darauf aufmerksam, dass Knoblauchsoße aus seinem Döner tropft. Er wischt den Fleck mit seiner Serviette weg.
Bisher bin ich davon ausgegangen, dass Robert Pattinson nur kleine Mädchen aus der Fassung bringt. Dass er auf Phillip eine derartig hypnotische Wirkung ausübt, ist mir ehrlich gesagt ein bisschen unheimlich. Obwohl es sehr niedlich aussieht, wie er vor sich hin starrt, stupse ich ihn noch einmal an. „Hey, träumst du?“
Er zuckt zusammen. Ein bisschen schuldbewusst, kommt es mir vor. Als hätte ich ihn bei etwas ertappt. Aber wobei?
„Ich? Nein. Alles bestens!“ Er beißt in seinen Döner, als wäre nichts gewesen. Hm … , denke ich bei mir. Vielleicht beschäftigt ihn irgendwas Schulisches? Eine bevorstehende Klausur? Ein kompliziertes Computerproblem? Die aktuelle Bundesligatabelle? Ein Trainerwechsel bei Real Madrid? Oder die stoffliche Zusammensetzung seiner Socken?
Ich werde es wohl nie erfahren. Jungs sind in solchen Dingen ja nicht besonders kommunikativ, und Phillip bildet da leider keine Ausnahme. Aber eigentlich ist es auch nicht so wichtig. Als er mir einen Knoblauchsoßenkuss gibt, habe ich es schon vergessen.
Ein paar Tage später finde ich Phillips Abwesenheitsproblem allerdings gar nicht mehr so niedlich. Ständig ertappe ich ihn dabei, dass er sich in Gesprächen ausklinkt, mir nicht zuhört oder mit seinen Gedanken ganz woanders ist. Alles, wirklich alles muss ich wiederholen oder ihm dreimal hintereinander erklären. Hat er vielleicht irgendeinen Vitaminmangel, eine Hormonstörung oder was? Es nervt!
„Was ist eigentlich mit dir los?“, frage ich, während wir nach Schulschluss unsere Fahrräder
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