Mein Leben für dich
Wieder und wieder habe ich mich gegen Kais Tür geworfen, bis sie endlich nachgab. Die Ereignisse der letzten Stunden wirbeln in meinem Kopf herum wie ein Berg Kleiderfetzen in einer Wäschetrommel. Ich bin beruhigt, Mia gegenüber zu wissen, in ihrem Apartment, in Sicherheit, weit weg von Kai. Aber ich darf mir noch nicht einmal vorstellen, was passiert wäre, hätte ich ihren Anruf ignoriert oder wäre zu spät gekommen.
Wir haben nicht viel gesprochen, als wir im Auto zurück zum Hotel fuhren. »Wie konntest du mich unbemerkt anrufen?«, fragte ich sie. Mia schwieg einen Moment, dann wandte sie sich zu mir. »Du bist die Eins auf meiner Kurzwahltaste«, sagte sie leise und mit einem scheuen Lächeln.
Ich nickte und spürte einen schmerzhaften Stich in meiner Brust. Den Rest der Fahrt über schwiegen wir. Aber allein der Blick in ihren Augen, mit dem sie ins vorbeiziehende Dunkel starrte, zerriss mir beinahe das Herz. Sie hat ihn anscheinend wirklich geliebt, verdammt, und dann das … Wie konnte dieser Drecksack ihr das nur antun? Zugedröhnt oder nicht, das hätte ihm nicht passieren dürfen, und wenn Mia mich nicht zurückgehalten hätte, er wäre nicht nur mit blutender Nase davongekommen.
Scheiße, es wird bestimmt eine ganze Weile dauern, bis sie die Sache überwunden hat, und ich mache mir andauernd Vorwürfe, dass ich nicht schon früher etwas unternommen habe, um sie von ihm fernzuhalten. Ich hatte mir zwar vorgenommen, mit ihr zu reden, ihr die Wahrheit zu sagen, über Kai und über mich. Aber mein Entschluss kam zu spät, und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: Ich habe keine Ahnung, ob und wann ich ihn tatsächlich durchgezogen hätte, denn ich hatte verdammt Schiss vor ihrer Reaktion.
Aber was jetzt?, frage ich mich. Die Situation ist jetzt eine andere. Ist die ganze Wahrheit nach diesem Zwischenfall noch nötig? Muss ich Mia sagen, wer ich bin und was ich getan habe, wo sie das Wichtigste doch selbst erkannt hat, nämlich, was für ein Dreckschwein und Heuchler Kai Thalbach ist? Was mein Geheimnis betrifft, wird er sich ruhig verhalten, nehme ich an, auch wenn er nach heute Abend mit Sicherheit große Lust hätte, mich zu lynchen. Aber wenn er Anstalten macht, mich auffliegen zu lassen, dann werde ich ihm dasselbe antun und damit seinen tollen Ruf und seine Karriere zerstören. Dieses Risiko geht er nicht ein, da bin ich mir sicher. Seine aalglatte Fassade ist schließlich alles, was er hat.
Verdammt, so krass Kais Aussetzer vorhin auch war, um ein Haar hätte sich dadurch alles zum Guten wenden können. Hätte … Wenn ich nicht ein weiteres Mal als Ricks Handlanger versagt hätte. Denn als ich Mia um kurz vor halb zwölf im Hotel abgeliefert habe und anschließend wie ein Irrer zurückgerast bin nach Sankt Georg, waren alle Lichter hinter den Fenstern des Einfamilienhauses erloschen. Und der schwarze Porsche verschwunden.
Mia
Ich war noch nie allein hier. Am Hafen, bei den großen Schiffen. Dabei ist es einer der beeindruckendsten Plätze in ganz Hamburg. So viel Wasser, so viel Himmel, so viel Weite. Am liebsten würde ich mich einfach irgendwo zwischen den Containern an Deck eines der großen Frachter verstecken und abhauen. Weit weg, in ein fernes Land, weg von allen Problemen.
Ich schließe die Augen, lausche dem Kreischen der Möwen, sauge die frische Luft ein, die nach Salz und Meer und Urlaub riecht. Wie unglaublich schön muss es hier sein, wenn man unbeschwert glücklich ist, verliebt und ohne Sorgen, denke ich wehmütig.
Ich konnte nach der Sache gestern Abend nicht mehr richtig einschlafen und bin heute in aller Frühe aufgestanden, um das Hotel unbemerkt zu verlassen. Seit Stunden treibe ich mich nun schon in der Stadt herum und hänge meinen Gedanken nach. Ich wollte niemanden sehen und hören. Am wenigsten aber Simon. Ich schäme mich so sehr. Ich weiß nicht, wie ich ihm überhaupt jemals wieder unter die Augen treten soll. Er hat mich von Anfang an vor Kai gewarnt, er hat gespürt, dass irgendetwas an ihm faul war. Und er hatte recht: Kai ist ein Blender, einer, der permanent eine Show abzieht, der gar nicht weiß, wer er selbst ist, und es auch nie herausfinden wird, weil er sich in seiner Freizeit lieber mit Drogen vollpumpt. Wahrscheinlich, weil er insgeheim weiß, dass hinter all dem Getue nichts ist. Und ich bin auf diesen Typen, seinen falschen Charme und seine Komplimente hereingefallen, weil ich unbedingt etwas von seinem Glanz abbekommen und Carolin von Sebald ins
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