Mein Leben für dich
einmal meinen Enkelkindern erzählen kann.
Mia will Kai Thalbach und möglicherweise ist er tatsächlich der Richtige für sie, so schwer es mir fällt, das zuzugeben. Vorgestern, nachdem ich erfuhr, dass ihn an Mias Unglück absolut keine Schuld traf, war ich fast ein wenig enttäuscht, denn ich hätte gerne einen triftigen Grund gehabt, ihn vor Mia und ihrem Vater schlechtzumachen. Aber allmählich muss ich mir wohl eingestehen, dass ich ihn bloß deshalb nicht leiden kann, weil er all das darstellt, was ich nicht bin. Ich bin schlicht und ergreifend eifersüchtig auf ihn. Nicht auf sein Ansehen und seinen Erfolg, auf all das scheiß ich. Aber er überzeugt Mia damit und ist so betrachtet ein echter Glückspilz. Und wenn er es wirklich schafft, die Kleine glücklich zu machen, werde ich ihm auch nicht mehr im Wege stehen. Aber falls nicht und sich die Warnungen seiner Bekannten Carolin von Sebald bestätigen sollten, dann schwöre ich, wird er etwas erleben, das ihm sein Schauspielerlächeln auf ewig aus dem Gesicht pustet.
Als ich nach dem Duschen meine Zähne putze und mich dabei im Spiegel betrachte, höre ich zum x-ten Mal seit meiner Rettungsaktion Mias Stimme und sehe ihre flehenden Augen vor mir, mit denen sie mich anblickte, während sie meine Hand hielt und mich bat zu bleiben:
»Weil ich … dich mag. Und weil ich keinen anderen Bodyguard will, nur dich. Bei dir fühle ich mich sicher und ich fühle mich wohl. Du bist in den letzten Wochen … wie ein Freund für mich geworden …«
Ich weiß, ich hätte mich einfach nur darüber freuen sollen, denn so etwas aus Mias Mund zu hören hätte ich im Leben nicht erwartet. Letztendlich sind diese Sätze auch der Grund, warum ich noch hier bin und versuchen werde, wieder normal zu werden und ihr die Unterstützung zu geben, die sie braucht. Aber vorgestern, da haben ihre Worte einfach nur verdammt wehgetan, obwohl sie davon sicher nicht die leiseste Ahnung hatte. Ich konnte ihr noch nicht einmal darauf antworten und sagen: »Mir geht es mit dir genauso, komm, lass uns gute Freunde sein.« Denn das wäre nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit will ich mehr. Zum ersten Mal in meinem Leben. Deshalb habe ich auch nicht widersprochen, als sie wieder mit Tanja anfing. Dass Mia wirklich annimmt, wir wären ineinander verknallt, macht die Sache etwas leichter. Denn so wird sie wenigstens nicht auf die Idee kommen, in wen ich Vollidiot mich tatsächlich verknallt habe.
Mia
»Alles, alles, was deine Liebe mir gebeut. Ich werfe mich ganz in deine Arme …«
»Stopp, danke, vielen Dank, das war’s.«
Der Regisseur klatscht in die Hände und ich zucke zusammen. Ich war schon wieder in Gedanken, irgendwo im Vorgestern. Das muss endlich aufhören! Ich schüttle meine Haare durch, als würden damit auch meine Erinnerungen aus meinem Kopf gewirbelt wie lästiger Staub.
»Für heute machen wir Schluss, Leute. Morgen gehen wir nur den dritten Akt durch. David, du solltest unbedingt noch stärker an deinem Ausdruck arbeiten, und Kai …« Der Regisseur hebt bloß anerkennend den Daumen und Kai nickt ihm dankend zu. Auch ich verspüre in diesem Moment einen Anflug von Stolz. Stolz, dass ich es bin, auf die Kai nun zukommt, nachdem er schwungvoll von der Bühne gesprungen ist.
Ich applaudiere ihm. »Du warst super«, sage ich, »einfach unglaublich. Wir haben Don Carlos schon mal in der Schule gelesen, aber auf der Bühne … Wow, ich habe glatt eine Gänsehaut bekommen. Wie kriegst du es nur hin, dass diese alten schwierigen Texte so klingen, als würdest du dich heute ganz normal mit jemandem unterhalten?« Dass ich zwischendurch immer wieder abgeschweift bin und an mein eigenes Drama von Mittwoch dachte und kein bisschen an Don Carlos und dessen Schicksal, verrate ich ihm nicht.
Kai schnappt sich ein Handtuch, mit dem er sich übers Gesicht und den Nacken wischt, dann verbeugt er sich vor mir. »Freut mich, dass es dir gefallen hat. Und?«, fragt er und nimmt einen Schluck aus einer Wasserflasche. »Hattest du dir die Proben in etwa so vorgestellt?« Er wirkt atemlos und noch völlig unter Strom.
Ich schüttle den Kopf. »Nein, ich dachte ehrlich gesagt, dass es viel entspannter und lockerer zugeht«, gebe ich zu. »Aber ihr wart alle so konzentriert bei der Sache, als hättet ihr heute schon Premiere.«
Kai lacht laut auf. »Ja, genau das unterscheidet eben gute Schauspieler von schlechten. Sie sind immer voll da, werden eins mit ihrer Rolle, sobald sie das
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