Mein Leben für dich
als zuvor.
»Danke, Renate«, murmle ich, denn ich habe das plötzliche Bedürfnis, ihr etwas Nettes zu sagen. Renate wirft mir ein Lächeln zu. Sie fragt nicht: Wofür denn? Sie weiß, was ich meine.
»Wissen Sie, Mia«, sagt sie stattdessen, »seit Sie hier sind, ist vieles anders geworden im Falkenstein-Hotel. Besser.«
Ich sehe sie fragend an. »Was meinen Sie damit?«
Sie wiegt den Kopf hin und her und lässt dabei ihren Kaffeelöffel gegen die Tasse klicken. »Sie können den Unterschied vielleicht nicht erkennen, aber Ihr Vater ist dabei, sich zu verändern. Im positiven Sinne. Er lacht viel öfter, ist ohne ersichtlichen Grund gut gelaunt, sitzt nicht mehr stundenlang Trübsal blasend in seinem kleinen Büro herum, ohne etwas zu essen oder zu trinken. Er ist wieder am Leben, seit Sie in seiner Nähe sind, Mia. Er lässt das Glück wieder an sich heran und versperrt sich nicht mehr vor ihm.«
»Ich weiß nicht«, murmle ich. »Manchmal glaube ich, er hätte mich lieber wieder los. Sonst würde er doch mehr mit mir unternehmen, oder? Er findet mich wahrscheinlich schwierig und zickig. Aber so bin ich nur, weil ich mich ständig über ihn ärgere und enttäuscht bin, dass er sich nicht richtig für mich interessiert.«
Renate greift nach meiner Hand und drückt sie kurz. »Geben Sie ihm noch etwas Zeit, Mia. Zu viele Schritte auf einmal schafft er nicht, dafür war er zu lange allein. Er braucht ein bisschen Anlauf, um zurück in seine Vaterrolle zu finden. Sie beide werden weiter zusammenwachsen, da bin ich mir sicher. Sie sind sich in vielen Punkten sehr ähnlich.«
»Wirklich?«, frage ich skeptisch. »In welchen denn?«
»Sie sind beide schreckliche Dickköpfe und lassen sich nur ungern von einer Idee abbringen. Sie sind ehrgeizig. Und bei all dem unglaublich liebenswert und warmherzig. Sie sehen den Menschen in die Augen und nicht an ihnen vorbei. Das findet man sehr selten.«
Ich sage nichts, sondern rühre gedankenverloren in meinem Kaffee herum. Renate scheint meinen Vater ja gut zu kennen und auch mich ordnet sie ziemlich richtig ein. Vielleicht stimmt es ja, was sie sagt. Vielleicht sind wir uns gar nicht so unähnlich, mein Vater und ich. Ich habe nie auf Gemeinsamkeiten zwischen uns geachtet, ich wollte immer nur so sein wie meine Mutter und habe oft ganz vergessen, dass ich das Kind von beiden bin.
»Er liebt Sie, Mia. Und er ist unendlich stolz auf Sie. Ich … muss Ihnen etwas gestehen.«
Ich blicke auf. »Was?«
»Ich habe ihm vorgestern am Telefon von der Spendenaktion erzählt.«
»Wie?«
»Ja, ich hatte keine andere Wahl. Der Florist hat doch tatsächlich auf seinem Privathandy angerufen und die Bestellung bestätigt. Daraufhin wurde er natürlich misstrauisch und wollte sofort wissen, was Sache ist und wofür die Blumen sind.«
»Und?«, frage ich ängstlich nach.
»Erst war er beleidigt, dass ich ihn nicht von vornherein eingeweiht habe. Aber nachdem ich ihm erklärt habe, was wir auf die Beine gestellt haben und dass alles Hand und Fuß hat, war er begeistert. Und er sagte mir, ich soll auf seine Rechnung noch ein paar Häppchen und eine große Käseplatte bestellen, denn hungrige Menschen seien nicht so spendabel wie satte. Er kann … so unglaublich lustig und liebreizend sein, wie ein kleines Kind.« Renate kichert und wird dabei ein bisschen rot. Und auf einmal ahne ich, warum sie plötzlich so eine positive Ausstrahlung hat. Ich starre Renate mit offenem Mund an. Klar, sie ist bis über beide Ohren verknallt, warum bin ich nicht eher darauf gekommen? Und zwar nicht in irgendjemanden, sondern … in meinen Vater. Ich fasse es einfach nicht. Was für eine verrückte Welt, denke ich und schnappe mir auf diesen Schreck hin nun doch ein Croissant aus dem Brotkorb. Während ich es dick mit Butter und Erdbeermarmelade bestreiche, stelle ich mir vor, wie sich die beiden in der Lobby verstohlene Blicke zuwerfen und sich heimlich hinter der Rezeption küssen. Der millionenschwere Hotelier und seine Empfangsdame! Das ist schon fast filmreif!
Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gefällt mir die Vorstellung, dass die beiden ein richtiges Paar werden könnten. Einerseits weil ich Renate mag, aber auch deshalb, weil das zeigen würde, dass alles im Leben möglich ist. Auch jene Dinge, die einem erst undenkbar erscheinen. Und so unerreichbar fern, dass man den Gedanken an sie lieber gleich aus seinem Kopf verbannt, aus Angst, sich darin zu
Weitere Kostenlose Bücher