Mein Leben für dich
nach seinen zu tasten und sich darüberzulegen. Ich schmiege meinen Kopf an seine Hand und öffne meine Augen einen Spaltbreit. Simon sieht mich noch immer an, ernst, die Lippen leicht geöffnet. Seine Augen glänzen. Aber anders als damals. Es ist kein fröhlicher Glanz, sondern ein trauriger, einsamer. Plötzlich zieht er mich sanft an sich. Und obwohl ich viel kleiner bin als er und beinahe ganz in seiner Umarmung verschwinde, habe ich das Gefühl, eigentlich ihn festzuhalten und nicht umgekehrt. Wir stehen einfach nur da, mein Gesicht an seiner Brust, seines in meinem Haar vergraben, unsere Körper dicht aneinander, durch unsere Arme miteinander verbunden. Erst zögere ich, doch dann fange ich beinahe wie von selbst an, seinen Rücken zu streicheln. So, als würde ich ein kleines Kind trösten. Er hält ganz still, seine hastigen Atemzüge sind die einzige Regung seines Körpers. Nach und nach merke ich, dass sein Atem ruhiger wird und sich dem meinen anpasst, bis sie eins sind. Ich lausche an seiner Brust, angestrengt, als könnte ich irgendetwas aus seinem Innersten heraushören, was mir mehr über ihn verrät. Und ganz plötzlich spüre ich etwas, das mein Herz fast zerspringen lässt. Denn das erste Mal in meinem Leben fühle ich den Schmerz eines anderen in mir. So pochend und so tief, als wäre es mein eigener.
Simon
Rick zählt das Geld durch, das ich ihm in die Hand gedrückt habe, und nickt zufrieden. »Gut gemacht, Kleiner. Wieder mal. Ich wusste doch, du hast es drauf. Bist ebenso begabt wie dein großer Bruder. Ihr Winters habt diesen gewissen Charme, auf den die Leute abfahren. Mike hingegen … Nun ja, er hat eben andere Vorteile. Musstest du dieses Mal handgreiflich werden oder hat diese Schwuchtel von indischem Blumenverkäufer die Kohle sofort rausgerückt?«
»Er hatte sie schon abgezählt in einem Umschlag«, sage ich und verrate ihm nicht, wie erleichtert ich jedes Mal bin, wenn die Leute, denen Rick Schutzgeld abverlangt, so kooperativ sind, dass ich gleich wieder verschwinden kann. »Hör zu, Rick, ich weiß, du hattest da noch eine Sache für mich vorgesehen, die ich diese Woche erledigen soll«, sage ich. »Das war … am Sonntag, oder?«
Rick zieht die Augenbrauen hoch. »Und?«, fragt er ungehalten und von seiner Anerkennung von eben ist von einer Sekunde auf die andere nichts mehr zu spüren. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals mit Ben in einem derartigen Ton gesprochen hätte. Anscheinend unterscheidet er sehr wohl zwischen uns, auch wenn er ständig betont, wie ähnlich mein Bruder und ich uns seien.
»Du weißt, dass ich noch einen anderen Job habe«, sage ich entschlossen. Ich sehe es nicht ein, dass er mich ständig so willkürlich behandelt, und plötzlich habe ich den totalen Brass auf Rick und seine wechselnden Launen. Seit Tagen stehe ich auf der Matte, wenn er nach mir ruft, und ich habe ihm noch keinen Grund gegeben, sich zu beschweren. Ich treibe haufenweise Kohle ein, karre ihn in der Gegend herum wie sein Chauffeur und tue, was er sonst noch so von mir verlangt, ohne mit der Wimper zu zucken und ohne auch nur einen Cent für meine Arbeit zu kriegen. Er meinte damals zwar großzügig, er hätte mir meinen misslungenen Autodiebstahl verziehen und gäbe mir eine Chance, mich zu beweisen, aber in Wirklichkeit nutzt er mich aus. Und sein Druckmittel für seine Forderungen heißt Ben. Er weiß, dass ich meinen Bruder niemals im Stich lassen und alles für ihn tun würde, damit er nicht vor dem totalen Nichts steht, wenn er aus dem Knast kommt.
»Ich bin am Sonntag beschäftigt, Mia braucht mich, ich kann mir nicht noch mal freinehmen«, erkläre ich. »Ich war diese Woche sowieso schon viel zu oft grundlos weg. Die Empfangsdame wird allmählich skeptisch und mir fallen keine glaubwürdigen Ausreden mehr ein. Wenn Falkenstein demnächst zurückkommt, wird es schwierig werden, mich weiterhin rauszuschleichen.«
Rick nickt und scheint ungewöhnlich ruhig, trotz meiner direkten Ansprache. »Ja, ja, ich weiß, du musst zwischendurch noch babysitten«, sagt er übertrieben verständnisvoll und ohne seine geringe Meinung über meinen Job zu verbergen. »Aber meinst du nicht, es wird Zeit, sich langsam von deiner kleinen reichen Freundin zu verabschieden und dich komplett unseren Geschäften zu widmen? Du würdest definitiv mehr Schlaf abbekommen und wärst nicht ständig hin- und hergerissen. Sieh dich mal im Spiegel an, deine Augenringe sind preisverdächtig!«
Ich
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