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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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erlösten. War das eine späte Rache für den deutschen Papst im Vatikan, aber auch für die Ermordung des angeblich italienischen Bären Bruno? Der italienische Sieg kam auf jeden Fall zur rechten Zeit, denn noch eine Woche länger dieser ganze Fan-Spaß – das wäre nicht auszuhalten gewesen.
    Noch nie waren der Sog der Masse und die dazugehörige Bewusstseinsmanipulation durch die Medien so deutlich sichtbar wie in diesen Tagen. Die Bevölkerung wurde so lange mit Fußball-Fernsehsendungen, Fußball-Leitessays, Fußball-Festen und Fußball-Liedern bombardiert, bis auch der letzte Frührentner glaubte, er persönlich stehe kurz davor, Weltmeister zu werden und damit der ungekrönte König auf diesem Planeten. Er brauche nichts weiter zu tun, als möglichst viele Fahnen an seinem Wagen zu befestigen, möglichst viel Bier zu trinken, viel Fernsehen zu gucken und stets die deutsche Nationalhymne mitzusingen, aber nur die dritte Strophe – dann wäre alles Banane.
    Man merkte, dass sich viele Berliner durchaus an einen solchen Dolce-Vita-Lebensstil gewöhnen konnten, auch ohne Fußball. Ich habe Menschen gesehen, die wie Zombies an öffentlichen Orten weilten und Fernsehen schauten, selbst als die Spiele längst vorbei waren. Sie glotzten die Fußball-Talks, in denen die Zuschauer dem deutschen Torwart von 1968 telefonisch Fragen stellen durften, sie glotzten die Comedyserien und die Formel I. Durch die WM wurde Deutschland zu einem Fernsehquotenland. Sogar in unserer Schrebergartenkolonie saßen die Gärtner andauernd vor ihren kleinen Fernsehgeräten, statt zum Beispiel ihren zweiten Rhabarber zu ernten oder die Johannisbeeren, die dieses Jahr außerordentlich gut gediehen, aber größtenteils der WM zum Opfer fielen. Nun war die WM jedoch vorbei. Schluss mit Fernsehen, raus aus der Kneipe, rein ins Leben! Es gibt Besseres zu tun, als Fußballweltmeister werden zu wollen! Zum Beispiel seine Lebensumstände zu verbessern, sich nach einer anderen Arbeit beziehungsweise nach einem (besseren) Lebenspartner umzuschauen, gegen die Gesundheitsreform zu protestieren, an einem Meditations-Workshop in Tibet teilzunehmen oder an den Wannsee zum Baden zu fahren.
    Das alles wollte ich meinem Nachbarn Günther Grass sagen, überlegte es mir aber dann doch noch einmal und beschloss, es lieber aufzuschreiben.

 
10 - Der kaukasische Garten
     
     
    Ein Schrebergarten gleich neben der Wohnung bietet jede Menge Spaß. Die Kinder können dort in einem aufblasbaren Swimmingpool laut plätschern, zwar nur von zehn bis dreizehn Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen, aber immerhin. Die Frauen haben im Garten die Möglichkeit, den ganzen Tag Blumen zu gießen, bescheuerte Hüte zu tragen und knifflige Kreuzworträtsel zu lösen. Die Männer können sich in extremen Sportarten an der frischen Luft erproben, die Doktor Schreber sich nicht hätte besser ausdenken können. Dazu gehören in erster Linie das Aufblasen, Herumschleppen und anschließende Abblasen von riesigen Gummiswimmingpools mit und ohne Kinder darin. Zu den typischen Männerspielen gehören ferner das Reparieren der alten Stromleitung, das Klettern auf kleine Bäume und das Essen von unreifem Obst zu Bier. Ein solch vielfältiges Angebot an Unterhaltung kann kein Ibiza der Welt bieten. Doch unsereins fühlt sich erst dann im Urlaub, wenn er sich weit genug vom eigenen Wohnsitz entfernt hat. Deswegen machten sich mitten im Sommer, nachdem die Fußballweltmeisterschaft zu Ende gegangen war, die meisten Bewohner unserer Gartenkolonie vom Acker.
    Die umweltbewusste Familie Kern mietete wie jedes Jahr für einen Monat ein so genanntes Haus in Schweden, eine  Ikea -Holzhütte in einem schwedischen Biowald mit ökologisch sauberen Mücken und Internetanschluss. Sie luden ihre Fahrräder in einen großen Passat und fuhren los. Ich war mir sicher, dass sie auch die Fahrradhelme nicht vergessen hatten. Es ist bekannt, wie gefährlich ein schwedischer Wald für deutsche Touristen werden kann. Viele Menschen haben sich dort bereits durch Zusammenstöße mit Elchen und mörderischen Baumwurzeln auf den Radwegen verletzt. Für die Zeit ihrer Abwesenheit hatte Familie Kern einen professionellen Biogärtner damit beauftragt, sich um ihre Biokartoffeln und die anderen Pflanzen zu kümmern.
    Frau Krause ließ ihren Garten, ihre Kinder und ihre Tiere in der Obhut der Großmutter und fuhr mit ihrem Mann wie jedes Jahr nach Italien, wahrscheinlich nach Palermo, um ihre internen

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