Mein mutiges Herz
sehen können, wenn alles vorüber ist.“
Und dann neigte er den Kopf und küsste sie.
Lindsey versteifte sich einen kurzen Moment. Sie hatte Michael schon einmal geküsst, der warme Druck seiner Lippen war ihr vertraut und nicht unangenehm. Aber nichts regte sich in ihr, keine Hitze durchströmte sie. Sie versuchte, nicht an Thor zu denken, aber er war bei ihr, als würde er neben ihr stehen.
Michael löste den keuschen Kuss, um keinen unnötigen Klatsch heraufzubeschwören. „Wir dürfen unsere Beziehung nicht vertiefen, solange diese leidige Sache nicht vorüber ist. Ich werde an Sie denken, Lindsey, und hoffe, auch Sie denken an mich.“
Lindsey brachte ein schwaches Lächeln zustande. Im Augenblick konnte sie nur daran denken, dass Rudys Verhaftung kurz bevorstand. Offenbar hatte die Polizei diesmal stichhaltige Hinweise gefunden, um Rudy als Täter zu überführen. Sie überlegte, ob sie Stephen Merrick erwähnen sollte, aber sie hatte nicht den geringsten Beweis – und war sich selbst nicht sicher. Also musste sie alles daransetzen, den Mörder zu finden.
Und sie musste herausfinden, wer einen Grund haben könnte, ihrem Bruder diese Verbrechen anzulasten, die er nicht begangen hatte.
„Es ist alles friedlich verlaufen, nicht wahr?“ Krista stand neben der gefächerten Palme und blickte zu Thor hoch. „Zumindest konntest du Lindsey zu einem Tanz überreden.“ Die Menge der Gäste begann sich zu lichten, da die Ballnacht sich dem Ende entgegenneigte.
Mutlos schüttelte Thor den Kopf. „Ich glaube nicht, dass sie mir je verzeihen wird.“
„Mit der Zeit wird sie dir vergeben. Sie liebt dich. Du musst ihr nur beweisen, wie sehr auch du sie liebst.“
Thor dachte an seine letzte Nacht mit Lindsey. Er hatte ihr Liebeskünste gezeigt, die er sich im Red Door angeeignet hatte, sie damit zur Ekstase gebracht und dabei selbst die höchsten Wonnen genossen.
„Sie hat sich von ihm küssen lassen. Ich habe die beiden in der Galerie beobachtet.“
„Aber sie liebt Michael Harvey nicht, sie liebt dich. Nach deinen Anschuldigungen ist sie lediglich verwirrt.“
Thor blickte zu den hohen Flügeltüren des Ballsaales hinüber, wo Lindsey mit ihrem Bruder und ihrer Familie stand. Der Lieutenant war bereits gegangen, was ihm ein wenig Hoffnung gab.
Krista berührte seinen Arm. „Du darfst den Mut nicht sinken lassen, Thor.“
Seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Ich werde nicht aufgeben. Ich war ein Narr und habe alles falsch gemacht. Daraus habe ich meine Lehre gezogen. Lindsey gehört mir, und ich werde sie zurückerobern.“
Krista lächelte beruhigt. „Ich weiß.“ Sie warf ihrem Gemahl, der seinem jüngeren Bruder so verblüffend ähnelte, einen Blick zu, dann wandte sie sich wieder an Thor. „Sie ist für dich bestimmt – und sie wird dir gehören, daran habe ich keinen Zweifel.“
27. KAPITEL
Rastlos wanderte Lindsey in Kristas Büro hin und her; der weite Rock ihres grauen Wollkleides fegte über die Bodendielen. Am Fenster blieb sie stehen und drehte sich um. „Ich muss noch einmal ins Red Door.“
„Wie bitte?“
„Ich begreife nicht, wieso ich nicht längst daran gedacht habe. In unserem Gespräch mit Stephens Kammerdiener Simon Beale erwähnte der, dass sein Herr häufig übel beleumundete Häuser aufsuchte. Er nannte sogar das Red Door. Ich muss die Frauen fragen, ob sie sich an Stephen erinnern und etwas wissen, was mir einen Hinweis geben könnte, ob er der Mörder ist.“
„Du kannst doch nicht in … in ein Bordell gehen, Lindsey. Und schon gar nicht ohne Begleitung.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Sie trat an Kristas Schreibtisch. „Vielleicht erklärt Leif sich bereit, mich zu begleiten?“
„Leif ist nicht in der Stadt.“ Krista zog die Stirn in nachdenkliche Falten. „Aber ich glaube, du hast recht.“ Sie seufzte. „Leif wird sehr verärgert sein, aber es ist nicht zu ändern. Ich begleite dich. Heute Abend.“
„O Krista, du bist ein Schatz!“ Lindsey beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich bringe das rote Kleid zurück, einen besseren Vorwand kann es kaum geben.“
„Wir legen unseren Besuch auf den frühen Abend. Je später die Nacht, desto gefährlicher ist die Gegend.“
„Um welche Zeit denkst du?“
„Ich hole dich um acht Uhr ab. Um diese Zeit dürfte bereits geöffnet sein.“
„Tausend Dank.“ Lindsey verließ Kristas Büro und begab sich an ihren Schreibtisch. Thor arbeitete zu ihrer Erleichterung am Hafen.
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