Mein mutiges Herz
Eigentlich wundert mich das nicht.“
Verlegene Röte übergoss Lindseys Wangen. Bereits im Begriff, der Rothaarigen zu sagen, dass keine von ihnen Thors Gespielin war, besann sie sich, schluckte ihren Stolz hinunter und lächelte liebenswürdig.
„Wir hoffen, Sie können uns Näheres über Stephen Camden sagen. Wir haben Grund anzunehmen, dass der Viscount in die Morde in Covent Garden verwickelt sein könnte.“
Silky gab einen Laut des Abscheus von sich. „Merrick! Er bezahlte mich gut, aber er ist einer der Männer, die nur Befriedigung finden, wenn sie eine Frau misshandeln. Er fesselte mich und schlug mich mit einer Reitgerte. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, aber dann wurde er immer brutaler. Er ließ erst von mir ab, als ich vor Schmerz schrie und blutete. Ich versteckte mich, wenn ich ihn kommen sah. Schließlich bat Madame ihn, nicht mehr zu kommen.“
Lindsey warf Krista einen vielsagenden Blick zu; beide hatten den gleichen Gedanken. „Er hat sie gefesselt?“
Silky nickte. „Er band mich mit langen rosafarbenen Tüchern, die er stets bei sich hatte, an die Bettpfosten.“ Sie warf ihr langes rotes Haar über die Schulter. „Wie gesagt, anfangs störte mich das nicht sehr. Er war nicht der einzige Mann, der Gefallen daran fand, grob mit Frauen umzugehen. Aber Merrick war anders. Je brutaler er mich behandelte, desto mehr Spaß hatte er daran.“ Sie zog die Brauen zusammen. „Und er hatte noch eine merkwürdige Angewohnheit.“
„Was denn?“
„Er nannte mich gelegentlich Tilly. Er sagte: ‚Jetzt bist du dran, Tilly. Wie gefällt dir das?‘ Ich glaube, eigentlich wollte er diese Frau bestrafen und nicht mich.“
„Tilly? Hat er sie je beim Nachnamen genannt?“
„Nein. Es passierte nur ein paar Mal, soweit ich mich erinnere.“
„Vielen Dank, Silky“, sagte Lindsey. „Wir sind Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit sehr dankbar.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Es sterben immer wieder Frauen. Das muss doch endlich aufhören.“
„Ihre Auskunft hilft vielleicht, den Mörder zu fassen“, erklärte Krista.
Die Freundinnen verließen das Bordell in höchster Aufregung. Sie hatten wertvolle Auskünfte erhalten und eine konkrete Spur, der es zu folgen galt. Dieser Besuch hat sich wirklich gelohnt, dachte Lindsey aufgewühlt.
Und dann entdeckte sie Thor, der breitbeinig neben der Kutsche stand und sie mit Blicken verschlang, und sie befürchtete, einen Schwächeanfall zu erleiden.
Am nächsten Morgen erschien Constable Bertram in Begleitung dreier Polizisten und führte Rudy in Handschellen ab.
Lindseys Mutter rang verzweifelt die Hände, einem Nervenzusammenbruch nahe. „Tu etwas, William! Du kannst doch nicht einfach zulassen, dass diese Leute unseren Sohn festnehmen!“
„Reg dich bitte nicht auf, meine Liebe. Das alles ist nur ein fürchterliches Missverständnis.“ Der Lord ließ sich von Benders in den Mantel helfen. „Ich suche umgehend Jonas Marvin auf. Er wird wissen, was zu tun ist. Heute Abend ist unser Sohn wieder zu Hause, das verspreche ich dir.“
Aber Lindsey ahnte, dass das nicht so einfach sein würde. Wie Michael Harvey ihr anvertraut hatte, verfügte die Polizei mittlerweile über ausreichendes Beweismaterial, das die Schuld ihres Bruder untermauerten.
Michael!
Sie musste Michael aufsuchen, ihn anflehen, ihr zu sagen, welche Beweise der Polizei vorlagen. Von Michael würde sie die Antworten erhalten, die sie brauchte.
Ohne sich von ihrer schluchzenden Mutter zu verabschieden, griff Lindsey nach ihrem Umhang, verließ das Haus und vergaß in ihrer Eile sogar, einen Hut aufzusetzen. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit zu warten, bis die Kutsche angespannt war. An der nächsten Straßenecke kletterte sie in eine Mietdroschke. „Zum Polizeipräsidium, bitte.“
„Sehr wohl, Miss.“
Das Pferd trottete los, und die Räder holperten über das Kopfsteinpflaster, als der klapperige Wagen sich durch den Morgenverkehr schlängelte. Die Fahrt schien Stunden zu dauern, bis sie endlich an dem großen Gebäude vorfuhren. Lindsey bezahlte den Fahrpreis, legte noch etwas Trinkgeld dazu und eilte die Steinstufen hinauf. Am Empfang wurde ihr mitgeteilt, dass der Lieutenant außer Haus sei.
„Es tut mir leid, Miss …?“
„Graham“, stellte sie sich dem beleibten Sergeanten hinter seinem Pult vor. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne auf ihn warten.“
„Es kann aber eine Weile dauern, Miss Graham.“
„Das macht nichts. Ich setze mich dort
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