Mein mutiges Herz
hat?“ Dem Blick des Colonels, der sie begleitete, entnahm Thor allerdings, dass ihre Tante ähnliche Charakterzüge aufwies.
Thor atmete tief durch. Zu siegen war ein erhebendes Gefühl, und im Stillen wünschte er sich nichts sehnlicher, als mit Lindsey zusammen zu sein.
Allerdings war er kein Narr. In den letzten Tagen hatte sie begonnen, Grenzen zu setzen, da ihr vermutlich endlich klar geworden war, wie wenig sie zueinanderpassten. Es war Zeit, ihre Affäre zu beenden. Obgleich der Gedanke ihn schmerzte, hatte er von Anfang an gewusst, dass dieser Tag kommen musste.
Dennoch musste er sie dringend sprechen. Am Morgen hatte er im Dorf interessante Neuigkeiten erfahren, die Lord Merrick betreffen könnten, wobei Thor hoffte, dass dieses Gerücht sich als falsch erweisen würde.
Lindsey sah Thor erst am späten Nachmittag. Obgleich sie nichts lieber getan hätte, als ihren Sieg gemeinsam mit ihm zu feiern, ging sie ihm geflissentlich aus dem Weg. Thor schien den Grund zu ahnen. Auch wenn er nicht wusste, dass sie ihre Liebe zu ihm entdeckt hatte, schien er ihre Gedanken lesen zu können.
Deshalb war sie erstaunt, als er gegen Ende der Siegesfeier zu ihr trat.
„Ich muss kurz mit dir sprechen, bevor du gehst.“
Ihr Blick flog unstet hin und her, ihr Herz klopfte bang. „Was gibt es?“
„Vor dem Rennen sprach mich im Dorf ein Mann an, den ich vorher noch nie gesehen hatte; seinen Namen wollte er mir allerdings nicht nennen. Er sagte, ich soll in Ashbury eine Frau namens Martha Barker aufsuchen. Sie ist Penelope Barkers Mutter. Und ich soll sie fragen, was sie über das Verschwinden ihrer Tochter weiß.“
„Könnte das der Mann sein, der den letzten Brief schrieb?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe kürzlich im Dorf Fragen nach dem Mädchen gestellt. Der Mann wird wohl davon erfahren haben und wollte mir vermutlich behilflich sein.“
„Wir müssen augenblicklich nach Ashbury fahren.“
„Ich kann alleine …“
„Nein, ich will dabei sein.“
Er nickte nur.
„Einige Gäste sind bereits abgereist. Die restlichen wollen morgen früh aufbrechen. Wir treffen uns morgen früh um zehn Uhr am Dorfausgang an der Straße nach Ashbury.“
Thor nickte wieder, sagte aber nichts weiter, obgleich sie spürte, dass er noch etwas auf dem Herzen hatte. Er begriff wohl, dass sie den Entschluss gefasst hatte, ihre Affäre zu beenden. Und er würde sie nicht bedrängen, die Beziehung fortzuführen – wenn sie ihn nicht darum bat.
Bei Gott, sie sehnte sich so sehr danach.
Hastig raffte sie die Röcke und eilte zu den Gästen zurück.
Lindsey ließ die elegante Renhurst Karosse am vereinbarten Treffpunkt kurz hinter Foxgrove anhalten. Wortlos stieg Thor ein und nahm auf der Bank ihr gegenüber Platz. Noch vor wenigen Tagen hätte er sich neben sie gesetzt und sie vermutlich in die Arme gezogen.
Diese Zeiten waren vorbei. Lindsey verdrängte einen schmerzhaften Stich und wies den Kutscher an, weiterzufahren.
Auf der dreistündigen Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Lindsey versuchte, sich in die Lektüre eines Gedichtbandes zu vertiefen, allerdings mit wenig Erfolg. Thor richtete den Blick auf die vorbeiziehende Landschaft. An den kahlen Ästen hingen nur noch vereinzelte welke Blätter. In der Nacht hatte es geregnet, aber nun hatte der Wind die Wolken vertrieben, und die Sonne strahlte.
Schließlich erreichten sie Ashbury, eine kleine Stadt, die sich an das sanfte Hügelland schmiegte. Die Häuser waren aus Naturstein erbaut und mit Stroh gedeckt; es gab einen hübschen Marktplatz und eine alte romanische Kirche auf einer Anhöhe. Ein Bach schlängelte sich mitten durch den Ort. An der Hauptstraße erkundigten sie sich nach der Adresse und fanden Martha Barkers Haus, ein strohgedecktes, weiß getünchtes Cottage am Rand der Ortschaft.
„Hoffentlich treffen wir die Frau an“, sagte Lindsey beklommen, als die Kutsche anhielt.
„Irgendwer ist im Haus. Der Vorhang an einem der Fenster hat sich bewegt.“ Thor stieg aus und half Lindsey. Gemeinsam näherten sie sich dem überdachten Vorbau. Nach Thors Klopfen erschien eine gebeugte alte Frau mit einer Nesselhaube über dem grauen Haar an der Tür.
„Mrs. Barker?“, fragte Thor.
„Ja, die bin ich.“
„Wir kommen wegen Ihrer Tochter“, ergänzte Lindsey, „und hoffen, Sie sind bereit, uns einige Auskünfte über sie zu geben.“
Die Augen der Frau wurden feucht. „Sind Sie Freunde von Penny?“
Lindsey lächelte verlegen. „In gewisser
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