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Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Schädelin
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wichtigen Sport aus? Weisst du zum Beispiel den Wert der verschiedenen Marmeln ? Dass die sogenannte Lättpolle nur einen Punkt gilt, der Steinmärmel zwei, der Gledel je nach Grösse fünf bis zwanzig, und die Stahlmärmel zehn? Weisst du überhaupt, was ein Gledel ist? — Wart, ich will es dir erklären: Manchmal hat es ein weisses Schaf darin, oder einen Eisbären: das sind die alten Modelle. In anderen sind gedrehte rote, grüne und gelbe Fäden aus Glas und wunderbar anzusehen. Bankiersöhne spielen mit solchen aus Achat: Vierzig Punkte, aber sie haben nur Liebhaberwert, denn wer wollte an einem Loch solche Risiken eingehen. Jeder Gledel ist aus Glas, vom kleinsten bis hinauf zum grössten, so gross wie ein Kuhauge.
    Apropos Kuhaugen: An der Kesslergasse, 100 Schritte von unserem Haus ist der Fleischmarkt, ein lohnendes Ausflugsziel. Denn dort hinter den Ständen gibt es Abfälle von grossem Tauschwert. Zum Beispiel Kaninchenbeine mit dem schönsten Pelz. Die kann man gratis mitnehmen. Auch Kuh- oder Schweineaugen sind manchmal zu haben, und mit denen haben wir oft gespielt. Man legt sie nämlich auf die Strasse und versucht, sie mit einem gewaltigen Absatztritt zum Platzen zu bringen. Das gelingt nie, denn die sind dermassen schlüpfrig und zäh, dass sie wie ein Geschoss unter dem Schuh hervorspringen und bisweilen über den ganzen Münsterplatz fliegen, einmal sogar bis hinauf zum Jüngsten Gericht.
    Wenn wir schon bei Marmeln und Augen sind, so komme ich nicht um die Fortsetzung jenes Frühlingsquartals herum. Denn just damals hatte ich mir eine Marmel verschafft, die mich in der ganzen Altstadt berühmt machte.
    Das kam so:
    Einige von euch kennen sicher den sogenannten Grümpelschorsch, jenen liebenswürdigen Landstreicher mit einem Glasauge, der den Tag über im «Schmalen Handtuch» sitzt und sich Schnaps an die Wurzel giesst, um dann gegen Abend hin Geld für die nächste Tagesration zu erbetteln.
    Diesem Schorsch bin ich damals durch Zufall hinter sein einträgliches Geheimnis gekommen: So alle zwei bis drei Monate läutete er in unserem Haus in jedem Stock, um allen Bewohnern die leere Augenhöhle zu zeigen und zu klagen, sein Glasauge sei wieder einmal zerbrochen, und man möge doch so gut sein, ihm ein neues zu bezahlen. Das taten unsere Väter auch meistens, und unsere Mutter sagte immer, man müsse mit solch armen Menschen sehr barmherzig sein, wenn man in den Himmel kommen wolle.
    Als ich eines Abends das Haus betrat, roch ich den Schorsch schon bei der Haustüre und hörte von unten, dass er oben wieder einmal um ein neues Auge nachsuchte. Beim Hinaufsteigen sah ich in der Ecke des Fenstersimses auf einem Papierchen fein säuberlich hingelegt das Auge vom Schorsch, der es augenscheinlich ausgezogen und deponiert hatte, um oben ein neues einzukassieren. — Das also war sein System. Und weil ich hörte, wie er sich bei meiner Mutter bestens bedankte, wusste ich, dass aus unserer Familienkasse soeben das Auge beglichen worden war, das hier vor mir lag, und darum betrachtete ich es als mein und meiner Familie Eigentum, liess es im Sack verschwinden, und von nun an hatte ich den schönsten Gledel der nördlichen Hemisphäre.
    Von Sachverständigen wurde er auf hundert Punkte geschätzt. Ich begann damit zu spielen und gewann mit ihm in einem fort!
    Wenn ich nämlich auf der Strasse mit ihm spielte, so sah es mich immer so treu an und machte mir Mut, so dass ich kolossale Sicherheit bekam. Es war mein Glücksauge, und der Wrigley nannte es das Auge des grossen Manitu , weil er in der Freizeit Indianerbücher las.
    Glücksauge?
    Nein, das genaue Gegenteil, denn seht , es kam die Schulreise dazwischen. Die Schulreise vom letzten Jahr nämlich, die wir immer noch zu gut hatten. Während des ganzen Herbstes sagte der Lehrer jeden Montag: Diese Woche gehen wir auf die Reise. — Aber dann regnete es, — oder es war schön. War es aber schön, so sagte der Lehrer, er wolle doch noch abwarten, ob sich das Wetter halte, und dann wartete er, bis es nicht mehr hielt, mochte es auch Wochen dauern.
    Nach diesem Prinzip verfahren sie jedes Jahr, und noch jedes Jahr zogen wir schliesslich bei strömendem Regen aus. Diesmal aber hatte der Lehrer bis in den November gewartet, bis es zu spät war, aber er versprach uns, am ersten Frühlingstag, wenn die Lerche schmettere, mit uns auszuziehen.
    So zogen wir denn. Am ersten Frühlingstag, wo die Sonne nicht mehr schien. Mit Regenschirmen kamen wir zum Bahnhof, unter

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