Mein Sanfter Zwilling
und roch nach Alkohol und seine Wangen glühten rot.
– Was machst du hier? Bist du traurig wegen deinem Sohn?, fragte er und trotz seines hochgeschossenen Körpers und seinem offensichtlichen Wunsch, erwachsen zu wirken, schien er in dem Augenblick so jung, so klein, so verletzlich. Und ich beneidete ihn um seine Jugend, um sein Nichtwissen, um seine Freiheit und um die Möglichkeit, sich alles, alles, einfach alles auf der Welt zu eröffnen. Er begann, mich mit kleinen Fleischstückchen zu füttern, das schien ihn so zu amüsieren, dass er unaufhörlich lachte. Ich aß und aß, nur damit er lachte.
Salome sang, und Lado übernahm das Gitarrenspiel so virtuos, dass ich mich der Musik hingab und alles andere vergaß. Ich ließ mich so gern fallen, in jener Nacht und in vielen anderen Nächten, die ich in diesem Haus verbrachte.
Die letzten Gäste saßen im Kreis um das erloschene Feuer und redeten in der Sprache, die mich jetzt fast schon wütend machen konnte, so sehr wollte ich sie verstehen. Buba war im Wohnzimmer auf der Couch eingeschlafen. Ich sah ihn so da liegen, mit offenem Mund, und deckte ihn zu. Er schlief so selig, so glücklich, ganz Kind in seinen Träumen. Und ich stand da, betrachtete ihn und dachte an meinen Sohn und empfand eine Art Frieden.
Ich ging ins Bad. Ich musste mein Gesicht unters kalte Wasser halten: Es war, als ob ich vor lauter Müdigkeit erstarrte, vor lauter Schwere, als würde man mein Inneres in Blei gießen. Im Gang, neben der halboffenen Tür zu Lados Schlafzimmer, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch und blieb stehen. Ich musste die Tür passieren, um ins Bad zu gelangen, und ich spähte in das Zimmer hinein. Ich erkannte zwei Schatten, ineinander verschlungen auf einem schmalen Metallbett. Salome, die sich an Lados Haaren festhielt, und Lado, der ihre Taille umklammert hielt. Sie machten Liebe, und ihre Liebe verschaffte ihnen keine Erleichterung, sie waren einsam in ihrem Zusammensein und versuchten zu vergessen, ineinander verschlungen, verzweifelt. Salome stöhnte, doch es war nicht Lust, die sie stöhnen ließ, es war ein dumpfer, brutaler, einsamer Schmerz, und Lado versteckte sein Gesicht an ihrem Hals, als wolle er verhindern, dass er die Welt anbrüllte.
Ich dachte daran, wie ich zum ersten Mal ineinander verschlungene Körper, Körper, die verzweifelt nacheinander suchten und doch einzeln, getrennt, fern voneinander waren, einander nicht durchdringend, als Liebe erkannt hatte. Wie ich die Silhouetten durch den Vorhangspalt hindurch als Liebespaar identifiziert und wie ich seitdem den Schmerz in meiner Wirbelsäule mit Liebe gleichgesetzt hatte. Ich dachte daran, wie ich das erste Mal mit Ivo schlief und die Unmöglichkeit, ihn mir anzueignen, Liebe nannte. Ich dachte an meine Liebe zu Ivo, die wehtat und brannte, die verzweifelt war, gehetzt, verschwitzt und blutend auf der Jagd nach Nähe und die mehr und mehr zum Schmerz heranwuchs. Zum Urzustand der Liebe. Die Unmöglichkeit der Nähe, die ich das erste Mal als Kind vom Ast eines Baumes aus erkannt und als solche in der Erinnerung bewahrt hatte. Das hatte auch Ivo getan. Es hatte uns für immer aneinandergebunden wie diese Vorstellung von Liebe, die nichts anderes war als Schuldgefühl, Betrug, Schmerz und Einsamkeit, die mein Vater und seine Mutter miteinander austauschten. Und wir nahmen sie an, als Liebe nahmen wir sie an, machten sie uns zu eigen. Wir waren klein, wir konnten nicht wissen, dass dies keine Liebe sein konnte, so schmerzverzerrt, so derangiert und zerstört im Kampf um Nähe sie war. Wir sahen das Bild und verloren uns darin.
Ich dachte an den Schmerz in meinem Rücken, an den Schmerz, den ich vermisste, wenn ich mit anderen Männern schlief. Der Schmerz, der mir die Nähe, das Unvermeidbare, das Unkontrollierbare, das Eruptive in meinem Leben bedeutete, den mir niemand anderer außer Ivo hatte geben können, nicht einmal der Vater meines Sohnes.
Wie hatte mein Vater weiterleben können – nach all dem, was passiert war? Wie hatte er je wieder eine Frau anfassen können – nachdem seine Liebessucht und die unsägliche Überwindung der eigenen Leere ein Menschenleben gekostet hatte? Wie konnte so etwas Liebe heißen?
Weiter die dunklen Körper durch den Spalt beobachtend, die sich schmeckten und rochen, anzogen und abstießen, die sich brauchten, um sich zu überwinden, dachte ich daran, dass meine Liebe zu Ivo nichts anderes war als diese Sucht, sich selbst zu überwinden. Dass ich mir
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