Mein Sanfter Zwilling
Antwort bekommen würde. Ich spürte Angst in mir aufsteigen und zündete mir aus lauter Panik noch eine Zigarette an.
– Alles okay mit dir?
– Ich dachte an meinen Sohn. Er ist in Deutschland.
– Hast du ein Foto von ihm?
Ich kramte in meinem Geldbeutel und zog ein kleines Automatenfoto heraus, das ich immer bei mir trug. Theo und ich in vierfacher Ausfertigung.
– Vermisst du ihn?
– Ja. Aber weißt du, du solltest die Freundin deines Vaters nicht verurteilen. Manchmal sind Dinge kompliziert, und man kann nicht dort sein, wo man sein will. Sie liebt ihr Kind bestimmt genauso fest wie ich Theo oder wie Lado dich.
– Woher weißt du, dass sie ihr Kind genauso liebt? Das kann man doch nie wissen, sagte er mit einer unglaublichen Härte und begann mit der Turnschuhspitze in der Erde zu graben.
In diesem Augenblick kam die große Frau auf uns zu. Sie hatte feine Glieder und wunderschöne lange Beine, die der einfache Bleistiftrock noch unterstrich. Ihre dunkelbraunen Haare hatte sie zu einem Bob geschnitten, und sie trug kaum Schminke, nur ein wenig Wimperntusche. Sie war nicht gerade klassisch schön, zu lange Adlernase und ein wenig zu weit standen ihre Augen auseinander, aber sie strahlte irgendetwas sehr Anziehendes aus, etwas unübersehbares Körperliches, fast schon Herausforderndes, so dass ich plötzlich an das Wort denken musste, das Buba im Zusammenhang mit ihr benutzt hatte: »heiß«.
– Hier seid ihr also!, rief sie und stellte sich zu uns. Da klingelte es wieder mal am Tor, und Buba rannte davon.
– Du gibst ihm Zigaretten?, fragte sie, und ich lächelte verlegen.
– Na ja, in dem Alter. Müssen jeden Mist mitmachen, fügte sie entschuldigend hinzu. Er mag dich. Normalerweise ist er etwas distanzierter zu Fremden. Wenn ich das so sagen darf. Kann ich auch eine Zigarette von dir haben?
Ihre Sprache war nicht so sicher, sie suchte nach den Worten, doch ihre tiefe Stimme ließ einen gebannt zuhören, egal was sie sagte.
– Klar. Hier. Bitte.
– Und fühlst du dich hier wohl?
– Ich bin von vielem fasziniert, das ja, aber ich bin ja noch nicht lange genug hier, um das alles wirklich beurteilen zu können.
– Ich war einmal in Hamburg. Mir war es zu kalt da.
Ich lächelte sie an, und wir schwiegen eine Weile, horchten, wer gerade durchs Tor gekommen war. Es war nicht Ivo.
Wieder schwiegen wir und rauchten unsere Zigaretten zu Ende. Ich fragte mich, was diese Frau in ihrem Leben tat, außer so geheimnisvoll und heiß zu sein, und wie es wohl war, die Geliebte des Mannes zu sein, dessen Frau im eigenen abgebrannten Haus tot aufgefunden worden war. Ich war neugierig, und immer noch an die Fotos aus »S« denkend, an Anita Baker und an die Gespenster in meinem Kopf, fragte ich sie:
– Ich würde gern etwas wissen.
– Ja?, kam sie mir entgegen.
– Ich frage mich, ob du weißt, was die vorhaben, also diese ganze Geheimnistuerei, mit der Reportage und so.
– Ich weiß es auch nicht genau. Ich habe aufgehört, mich in Lados Leben einzumischen.
Ihre Stimme wurde leiser, und Traurigkeit schimmerte durch ihre stolze Haltung hindurch. Ich hätte sie gerne berührt, aber ich wandte meinen Blick ab und sagte nichts mehr.
Irgendwann gegen Mitternacht tauchten Lado und Ivo auf. Sie waren beide angetrunken und stürmten übertrieben laut auf den Hof, begannen die Leute zu grüßen, die um das Lagerfeuer saßen, ihnen um den Hals zu fallen oder sie fest an sich zu drücken. Diese übertriebene Heiterkeit an Ivo regte mich auf.
Eine tiefe, rauchige Frauenstimme begann zu singen. Es war ein trauriges Motiv, das mich an den Fado aus Portugal erinnerte, und ihre Stimme war das Schönste, das ich seit langem gehört hatte. Aus der Ferne erkannte ich Salome, die ihre Lieder mit einer Gitarre begleitete.
Ich wollte an Theo denken, doch ich dachte an Ivo. Ich wollte über mein Leben nachdenken, doch dachte ich an seins. Und ich fragte mich, ob ich jemals aus meiner Hölle ausbrechen, mich befreien und losrennen lernen würde, dem richtigen Leben entgegen, an dem ich vorbeigeschlittert war, mich zerkratzend, verwundend. Dem Leben, das ich nie als mein eigenes angenommen hatte. Ob ich jemals frei sein konnte, frei von diesem Mann, den ich in dem Moment zu hassen glaubte, in meinem Drang, zu ihm zu laufen und von ihm die Antworten auf all meine Fragen zu verlangen.
Es war Buba, der mich fand. Er setzte sich zu mir und schmiegte sich an meine Schulter. Er hatte einen Teller mit Schaschlik dabei
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