Mein Sommer nebenan (German Edition)
Gott, du klingst schon wie Jase.«
»Ich versuche doch nur … keine Ahnung, wenn ich mir dich und Nan ansehe …« Ich verstumme. Soll ich ihm sagen, dass ich weiß, dass er ihre Aufsätze kopiert und benutzt hat? Was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Er ist von der Schule geworfen worden. Nan hat den Preis bekommen.
»Was ist mit Nan?«, fragt Tim, der offensichtlich den seltsamen Unterton in meiner Stimme herausgehört hat, als ich ihren Namen erwähnt habe. Er wirft die aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster und greift nach der nächsten.
»Obwohl Ferien sind, macht sie sich wegen der Unibewerbung totalen Stress …«, antworte ich ausweichend.
»Tja, wir Masons sind eben alle auf die eine oder andere Art süchtig und zwanghaft.« Tim schnaubt. »Bei mir hat sich die Sucht auf Alkohol und Drogen beschränkt, bei Nan ist es der krankhafte Ehrgeiz. Ich liebe meine Schwester, aber es gibt für keinen von uns Erlösung. Ich bin immer da, um ihr zu veranschaulichen, wie scheiße es ist, zu versagen, und sie, um mich daran zu erinnern, wie unglücklich es macht, ständig nach Perfektion zu streben. Apropos unglücklich – wir sind da.«
Er biegt auf den Parkplatz vor dem Wahlkampfbüro.
Obwohl ich weiß, wie viel Arbeit so eine Wahlkampagne macht, bin ich überrascht, dass es im Büro von Mitarbeitern nur so wimmelt, die wie am Fließband Broschüren falten und in Umschläge stecken, die sie mit Stempeln und Briefmarken versehen. Die Menschen glauben wirklich an meine Mutter, jedenfalls genug, um sich freiwillig in stickige Räume zu setzen und langweilige Aufgaben zu erledigen, während vor ihrem Fenster die schönsten Tage des immer viel zu kurzen neuenglischen Sommers vorbeiziehen.
Als wir in eines der Büros treten, blicken zwei ältere Frauen auf, die an einem großen Schreibtisch in der Mitte des Raums sitzen, und begrüßen Tim mit mütterlich wohlwollendem Lächeln.
»Timothy! Uns ist zu Ohren gekommen, du würdest uns verlassen, aber wir haben gleich gewusst, dass an dem Gerücht nichts dran ist«, ruft die größere und schlankere der beiden. »Los, schnapp dir einen Stuhl und setz dich zu uns.«
Tim legt ihr einen Arm um die knochigen Schultern. »Tut mir leid, Dottie. Das Gerücht ist wahr. Ich habe gekündigt, um mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu können.« Den letzten Satz sagt er, als würde er eine Rolle in einem Film sprechen.
»Und die junge Dame ist …?« Die andere Frau sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ah! Die Tochter unserer Senatorin!« Sie zwinkert Tim zu. »Deine … Freundin? Sie ist sehr hübsch.«
»Leider nicht, Susan. Sie ist schon einem anderen versprochen. Ich verzehre mich nur aus der Ferne nach ihr.«
Er fängt an, Unterlagen und – wie mir auffällt – auch ein paar Stifte und anderes Büromaterial in seinen Rucksack zu stopfen. Ich wandere durch den Raum, schaue mir Wahlkampfbroschüren und Buttons mit Moms Konterfei an, lege sie wieder zurück und gehe schließlich in ihr verwaistes Büro.
Mom weiß die Annehmlichkeiten des Lebens auch bei der Arbeit zu schätzen. Ihr ergonomisch geformter Bürostuhl ist ein teures Designerstück, der Schreibtisch kein zweckmäßiges Möbel aus einem Laden für Büroeinrichtungen, sondern ein massiver antiker Eichenschreibtisch. Es steht eine Vase mit roten Rosen darauf und ein Foto, das Mom, Tracy und mich zeigt. Wir tragen darauf alle die gleichen Samtkleider.
Auf einem Beistelltisch entdecke ich einen großen Geschenkkorb mit Gartenwerkzeug, der in grünes Zellophan gehüllt und mit einer Schleife geschmückt ist. Auf der beiliegenden Karte steht: Wir bei Riggio’s Qualitätsrasen sind dankbar für Ihre Unterstützung. An einer Pinnwand hängen mehrere Tickets für eine Broadway-Aufführung, die ihr irgendwelche Leute namens Bob und Marge Considine geschenkt haben: Erlauben Sie uns, Ihnen unsere tief empfundene Dankbarkeit für alles, was Sie für uns tun, mit dieser kleinen Aufmerksamkeit zum Ausdruck zu bringen. Die Visitenkarte einer Firma namens Carlyle Bauconsulting ist mit den Worten versehen: Wir bedanken uns dafür, dass Sie unser Gebot ernsthaft in Erwägung ziehen.
Ich kenne mich natürlich nicht gut genug aus, um zu wissen, was in der Politik erlaubt ist und was nicht, aber das kommt mir irgendwie merkwürdig vor. Während ich mit einem unguten Gefühl im Bauch dastehe, kommt Tim rein. Er hat den Rucksack über der Schulter hängen und trägt einen Karton. »Lass uns von hier abhauen,
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