Mein Sommer nebenan (German Edition)
ausgegangen ohne jemals zu klopfen. Aber als Tim jetzt seine Hand auf den Knauf der Fliegengittertür legt, schüttle ich den Kopf. Es gibt keine Klingel, also klopfe ich laut gegen das Metall des Türrahmens. Ich kann Georges heisere Stimme hören, wie er in einem anderen Zimmer leise vor sich hin plappert, das heißt jemand von den Größeren muss zu Hause sein.
Alice kommt an die Tür. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erlischt augenblicklich, als sie mich sieht.
»Was willst du?«, fragt sie durch das Fliegengitter.
»Wo ist Jase?«
Sie wirft kurz einen Blick über die Schulter, bevor sie zu uns auf die Veranda tritt und die Tür hinter sich zuknallt. Ich spüre, wie Tim neben mir unruhig wird und anfängt zu schwitzen. Sie trägt ein weißes Bikinioberteil und sehr knappe, abgeschnittene Jeans.
»Wieso willst du das wissen?« Sie verschränkt die Arme und lehnt sich gegen die Tür.
»Ich … ich muss ihm etwas sagen.« Meine Stimme klingt rau. Ich räuspere mich. Tim rückt ein bisschen näher, als wolle er mir den Rücken stärken – vielleicht geht es aber auch nur darum, einen besseren Blick auf Alice’ Bikinioberteil zu erhaschen.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass schon alles gesagt wurde«, gibt sie zurück. »Wieso gehst du nicht wieder dahin zurück, wo du herkommst?«
Die Samantha, die es gewöhnt ist, das zu tun, was man ihr sagt – die Tochter meiner Mutter –, würde weinend umdrehen und nach Hause laufen. Aber die andere, die wahre Samantha, rührt sich nicht von der Stelle. Ich kann nicht dahin zurück, wo ich herkomme. Diese Samantha gibt es nicht mehr.
»Ich muss ihn sehen, Alice. Ist er da?«
Sie schüttelt den Kopf. Seit Mr Garretts Unfall hat sie aufgehört, sich ständig die Haare zu färben. Nur noch ein paar blonde, fast herausgewachsene Strähnen in ihren gewellten braunen Haaren zeugen von vergangenen Farbexperimenten. »Ich wüsste nicht, warum ich ausgerechnet dir sagen sollte, wo er ist. Lass ihn in Ruhe.«
»Es ist wirklich wichtig, Alice«, sagt Tim, der offenbar wieder in der Lage ist, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als ihre Brüste.
Sie wirft ihm einen vernichtenden Blick zu, bevor sie wieder mich ansieht. »Hör zu, Samantha, wir haben im Moment genügend eigene Probleme am Hals, also verschon uns mit deinen persönlichen kleinen Ego-Dramen, okay? Es gab tatsächlich mal einen Moment, in dem ich dachte, du wärst anders, nicht bloß eine von diesen verwöhnten Privatschulzicken, aber wie’s aussieht, lag ich mit meiner ersten Einschätzung richtig. So was wie dich hat mein Bruder nicht nötig.«
»Dein Bruder hat es genauso wenig nötig, dass du dich in seine Angelegenheiten einmischst.« Ich wünschte, ich wäre größer als sie und könnte sie wenigstens durch meine imposante Erscheinung einschüchtern, aber Alice und ich sind genau gleich groß, wodurch sie mir umso besser in die Augen schauen und ihr Gift verspritzen kann.
»Tja, er ist mein Bruder, was ihn angeht, geht also auch mich was an«, entgegnet sie kühl.
»Großer Gott, schaltet mal wieder einen Gang runter, ihr beiden.« Tim stellt sich zwischen uns und schaut mit verschränkten Armen auf uns herab. »Ich mische mich zwar nur äußerst ungern in einen Streit zwischen zwei so heißen Bräuten ein, aber hier geht es verdammt noch mal nicht um euch. Was Samantha Jase zu sagen hat, ist wirklich wichtig, Alice. Also steck endlich die Peitsche weg und sag uns, wo Jase ist.«
Alice beachtet ihn gar nicht. »Du bist doch nur hier, um dein schlechtes Gewissen zu beruhigen«, zischt sie. »Du wirst ihm irgendeinen Mist erzählen von wegen, dass du ihm nie wehtun wolltest und es toll fändest, wenn ihr Freunde bleiben könntet. Aber den Scheiß kannst du dir sparen, okay? Und jetzt verschwinde. Du bist hier nicht mehr erwünscht.«
»Sailor Moon!«, ruft plötzlich eine aufgeregte Stimme, und als ich zur Tür sehe, steht George hinter dem Fliegengitter und drückt sein Gesicht dagegen. »Ich hab vorhin ein Eskimo-Eis gegessen. Hast du gewusst, dass es nicht wirklich von Eskimos gemacht wird? Und auch nicht – jetzt flüstert er – » aus Eskimos? Und hast du gewusst, dass Eskimos ihr Eis aus Robbenfett machen? Ganz schön eklig.« Er schüttelt sich.
Ich beuge mich zu ihm hinunter. »George – ist Jase zu Hause?«
»Er ist oben in seinem Zimmer. Soll ich dich zu ihm bringen? Oder ihn holen?« Er strahlt übers ganze Gesicht und freut sich so sehr, mich zu sehen, als würde er es mir kein
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