Mein Sommer nebenan (German Edition)
drängend und mit verzweifeltem Gesichtsausdruck.
Sie sieht ihn mit hochgezogener Braue an.
»Eine Riesentüte Jelly Beans von Doane’s, okay? Aber nicht die grünen. Die machen mir Angst.«
Siebtes Kapitel
S obald wir draußen auf der Veranda stehen, greife ich nach Nans Hand und drücke sie.
»Ich weiß!«, seufzt sie. »Es ist noch viel schlimmer geworden, seit er von der Ellery geflogen ist. Seitdem geht das jeden Tag so, und Gott weiß, was er nachts treibt. Meine Eltern haben nicht die leiseste Ahnung. Mommy kauft ihm einfach alle seine Lügen ab – ›Das grüne Zeug in dem Tütchen in meiner Tasche? Das ist Katzenminze, Ma. Was das für Pillen sind? Bloß Aspirin. Das weiße Pulver? Salz, nichts weiter.‹ Und wenn er ausfallend wird, lässt sie ihn zur Strafe Geld in die Schimpfwort-Kasse werfen – das er mir aus meinem Portemonnaie klaut. Und Daddy? Tja …« Sie zuckt mit den Achseln.
Mrs Mason ist der gnadenlos fröhlichste Mensch, den ich kenne. Jeder ihrer Sätze beginnt mit einem Ausruf: Also, so was! Meine Güte! Ach herrje! Um Gottes willen! Mr Mason sagt dagegen meistens gar nichts. Ich habe mal ein aufziehbares Plastikhuhn zu Ostern geschenkt bekommen, das mich an ihn erinnert. Von dem Moment an, in dem er nach Hause kommt, verharrt er bis zum Abendessen praktisch regungslos in seinem karierten Sessel und nimmt nach dem Abendessen bis zur Schlafenszeit wieder exakt dieselbe Position ein. Er hält sich nur gerade so lange aufrecht, um zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen und es von seinem Sessel an den Esstisch zu schaffen.
»Dad hat sogar Tims Marihuana-Pflanze gedüngt. Ich meine, hallo? Der Mann ist ein Kind der Achtziger und erkennt kein Cannabisblatt, wenn er es vor sich hat?« Sie lacht, aber es schwingt ein hysterischer Unterton mit. »Es ist, als würde Tim ertrinken und das Einzige, worüber sie sich Sorgen machen, ist die Farbe seiner Badehose.«
»Willst du nicht mal mit ihnen darüber reden?«, frage ich zum gefühlten hundertsten Mal. Andererseits kann ich mich da an meine eigene Nase fassen – schließlich habe ich mit meiner Mutter auch nicht offen über Tim gesprochen.
Nan winkt ab. »Als ich heute Morgen zum Frühstück runterkam, sagte Daddy, dass es Tim vielleicht guttun würde, auf eine Militärakademie zu gehen. Da würden die einen richtigen Mann aus ihm machen. Am liebsten wäre es ihm, er würde gleich zur Army gehen. Kannst du dir Tim bei der Army vorstellen? Der würde die Offiziere mit Sicherheit so auf die Palme bringen, dass sie ihn in Einzelhaft stecken und vergessen, dass er überhaupt existiert. Oder er würde sich mit dem übelsten Schläger der Kompanie anlegen und zu Tode geprügelt werden. Oder die Frau vom Drill Sergeant vögeln und hinterrücks von ihrem rasenden Ehemann erschossen werden.«
»Freut mich zu hören, dass du nicht allzu viel Zeit damit verbracht hast, dir seinetwegen den Kopf zu zerbrechen«, entgegne ich trocken.
Nan legt mir einen Arm um die Schulter. »Du hast mir gefehlt, Samantha. Tut mir leid. Ich bin in letzter Zeit nur noch um Daniel gekreist und von einer Party zur nächsten mit ihm gezogen, bloß um nicht zu Hause sein zu müssen, echt.«
»Wie läuft es bei euch beiden?« Es ist nicht zu übersehen, dass sie förmlich danach lechzt, das Thema zu wechseln, um nicht mehr über Tims Eskapaden sprechen zu müssen, so dankbar stürzt sie sich auf meine Frage.
»Daniel …« Sie seufzt. »Vielleicht sollte ich mich lieber auf meine Schwärmerei für Macho-Mitch und Steve McQueen beschränken. Ich komme einfach nicht dahinter, was sein Problem ist. Er macht sich total verrückt, dass er vielleicht nicht gut genug sein könnte, um am Massachusett Institute of Technology zu studieren, dabei weißt du ja selbst, was für ein kluger Kopf er ist – und abgesehen davon, fängt das Studium erst in drei Monaten an. Jetzt ist es gerade mal Juni. Kann er sich nicht einfach entspannen?«
»Sagt das Mädchen, das schon eine Millisekunde nach dem Ende des elften Schuljahrs Tonnen von College-Unterlagen anfordert.« Ich versetzte ihr spielerisch einen Stoß mit der Schulter.
»Deswegen passen Daniel und ich auch so perfekt zusammen, oder?« Sie zieht eine Grimasse. Eine sanfte Brise kommt auf, als wir auf die Hauptstraße biegen, und bringt die Blätter der Ahornbäume, die die Straße säumen, zum Rascheln. Als wir uns dem Dark and Stormy Diner nähern, dem Stammlokal der Tauchergemeinde unserer Stadt, tritt gerade ein Paar aus
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