Mein Sommer nebenan (German Edition)
diese Bezeichnung hasse, mit der mich meine Konkurrentinnen aus den gegnerischen Schwimmteams bei Wettkämpfen gern bedacht haben.
»Von mir bekommst du nichts, Tim.«
»Weil ich dein kostbares Geld sowieso ›bloß für Fusel verpulvern würde‹, stimmt’s?«, äfft er sarkastisch einen von Moms Standardkommentaren nach, den sie früher immer abgelassen hat, wenn wir bei Ausflügen nach New Haven an Obdachlosen vorbeikamen. »Aber hey, das stimmt nicht. Ich könnte damit auch Gras besorgen. Oder, wenn ich Glück habe und du dich großzügig zeigst, Koks. Da würde das Wort ›verpulvern‹ noch besser passen! Komm schon. Fünfzig würden mir reichen.«
Er lehnt sich neben mich an die Theke, legt bittend die Hände aneinander und sieht mich mit Hundeblick an.
Wir fechten ein stummes Blickduell aus. Dann greift er plötzlich ohne Vorwarnung in meine Rocktasche, in der ich mein Trinkgeld aufbewahre. »Du brauchst die Kohle doch noch nicht mal. Scheiße, Sammy, wozu gehst du überhaupt arbeiten? Gib mir einfach ein paar Scheine.«
Ich mache mich so heftig von ihm los, dass ich Angst habe, der billige Stoff des Rocks könnte reißen. »Tim! Was soll das? Du weißt genau, dass ich dir kein Geld gebe.«
Er sieht mich kopfschüttelnd an. »Du warst mal echt cool. Wann ist aus dir so eine Scheißzicke geworden?«
»In dem Moment, in dem du dich in ein komplettes Arschloch verwandelt hast.« Ich stürme mit meinem Tablett voller schmutzigem Geschirr an ihm vorbei. Tränen schießen mir in die Augen. Jetzt bloß nicht weinen!, denke ich. Aber es hat nun einmal eine Zeit gegeben, in der mich niemand so gut kannte wie Tim.
»Ärger?«, fragt Ernesto, der Koch, und schaut von den sechs Pfannen auf, in denen gerade gleichzeitig irgendwelche fetten Sachen brutzeln. Das Breakfast Ahoy ist kein Bio-Restaurant.
»Ach, bloß so ein Idiot, der glaubte, seine schlechte Laune an mir auslassen zu müssen.« Ich stelle die Teller klappernd auf den Geschirrwagen.
»Es ist immer dasselbe. In dieser verdammten Scheißstadt wimmelt es nur so von Vollidioten, die mit einem verdammten Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen sind und sich einbilden …«
Ups. Da habe ich wohl versehentlich eines der Themen angestoßen, über die Ernesto sich am liebsten aufregt. Ich blende seine Schimpftirade aus, straffe die Schultern und gehe wieder in den Restaurantbereich zu Tim, der jedoch gerade mit wehender karierter Pyjamahose aus der Tür stampft und sie hinter sich zuschlägt. Auf dem Tisch, an dem ich vor ein paar Minuten einen Gast abkassiert habe, und auf dem Boden liegen noch ein paar Münzen. Der Rest meines Trinkgelds ist weg.
Es gab da mal einen Tag in der siebten Klasse, ein paar Wochen vor Tims Rausschmiss von der Schule, als ich mein Geld fürs Mittagessen vergessen hatte und in der Pause nach Tracy oder Nan suchte. Stattdessen lief ich Tim in die Arme, der gerade mit ein paar als Hardcorekiffer verschrienen älteren Schülern im Gebüsch hockte. Tim hatte bis dahin, jedenfalls soweit ich weiß, genauso wenig Erfahrung mit dem Zeug gehabt wie Nan und ich. Der Anführer der Clique war Drake Marcos, ein dauerbreiter Zwölftklässler, dessen Gefolge immer genauso zugedröhnt war wie er. Nicht gerade die Art von Qualifikation, mit der man in der College-Bewerbung punkten kann.
»Wen haben wir denn da?«, rief er, als er mich kommen sah. »Die kleine Schwester von Tracy Reed. Warum setzt du dich nicht zu uns, Tracy-Reeds-Schwester. Du wirkst gestresst. Ich hätte da was, davon wirst du totaaal locker.« Die anderen lachten, als hätte er einen Mörderwitz gerissen. Ich schaute Tim an, der auf seine Füße starrte.
»Trau dich mal was, Tracy-Reeds-Schwester.« Drake wedelte mit einem Tütchen – keine Ahnung, was drin war – in meine Richtung.
Ich murmelte irgendetwas, von wegen ich sei spät dran und müsste in meinen nächsten Kurs, was Drake vom unterwürfigen Gekicher seiner Groupies untermalt genüsslich ins Lächerliche zog.
Ich ging weiter, dann drehte ich mich noch einmal um und rief Tim, der immer noch auf seine Schuhe starrte, ein »Kommst du mit?« zu.
Endlich hob er den Blick und sah mich an. »Leck mich, Samantha.«
Zwölftes Kapitel
E s dauert eine Weile, bis ich Tims Auftritt verdaut habe, aber im Breakfast Ahoy ist wie immer die Hölle los, sodass ich irgendwann schlicht keine Zeit mehr habe, mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen.
Aber das hilft nichts. Irgendwie ist heute der Wurm drin.
Kurz bevor meine
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