Mein Sommer nebenan (German Edition)
interessiert jedes Detail seines Tagesablaufs. Ich könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er von Kunden und Lieferanten erzählt, bin davon fasziniert, wie treffend und trotzdem einfühlsam er sie beschreiben kann. Ich bekomme nicht genug von dem verträumten Lächeln, mit dem er dem Klang meiner Stimme lauscht, während er mich gleichzeitig mit Blicken verschlingt. Mir gefällt alles an ihm, und jedes Mal wenn ich etwas Neues an ihm entdecke, ist es wie ein Geschenk.
Geht es Mom genauso? Fühlt sich jeder Teil von Clay für sie so an, als wäre er nur dazu erschaffen, sie glücklich zu machen? Die Vorstellung widert mich irgendwie an. Aber wenn sie so für ihn empfindet, müsste ich mich dann nicht für sie freuen, statt Clay abzulehnen?
»Ich brauche deine Hilfe, Sammy«, sagt Tim, als er in die Küche kommt, wo ich gerade aufgebackene Focaccia-Stücke aus dem Ofen hole und mit geriebenem Parmesan bestreue. »Die Herrschaften da draußen wollen noch mehr Wein und ich halte es nicht unbedingt für die beste Idee, wenn ich den Sommelier spiele. Gracie möchte noch zwei Flaschen von dem Pinot Grigio.« Seine Stimme hat einen scherzhaften Unterton, aber er schwitzt ein bisschen, und das liegt wahrscheinlich nicht nur an der Hitze.
»Warum hat sie dich geschickt? Ich dachte, du wärst als Wahlkampfhelfer hier, nicht als Kellner.« Mom hat zwölf Sponsoren zum Essen eingeladen und dafür einen Caterer engagiert, verheimlicht diese Tatsache aber vor ihren Gästen, indem sie das vorgekochte, wieder aufgewärmte Essen stattdessen von mir servieren lässt.
»Was das angeht, ist meine Arbeitsplatzbeschreibung ein bisschen schwammig. Du hast keine Ahnung, wie oft ich schon losgeschickt wurde, um Kaffee und Donuts zu besorgen, seit ich bei deiner Mom angeheuert habe. Kriegst du die alleine auf?« Er deutete mit dem Kopf auf die zwei Flaschen, die ich aus dem unteren Kühlschrankfach geholt habe.
»Ich glaube, das schaffe ich gerade noch.«
»Ich hasse Wein«, murmelt Tim mantraartig vor sich hin. »Allein schon der Geruch, widerlich … Trotzdem könnte ich jetzt beide Flaschen innerhalb von zwei Sekunden runterstürzen.« Er schließt die Augen.
Ich habe mittlerweile die Folie am Flaschenhals abgeschält und setze unseren supermodernen Design-Korkenzieher an, der eher wie eine Pfeffermühle aussieht. »Tut mir leid, Tim. Wenn du lieber nicht zusehen willst, kein Problem. Ich bringe die Flaschen dann gleich raus.«
»Lass mal, bleib du lieber hier. Das Maß an Überheblichkeit, die da draußen ausgestrahlt wird, hat den Level des Erträglichen längst überschritten. Von der Heuchelei gar nicht zu reden. Das will ich dir nicht antun. Dieser Lamont ist echt ein Widerling allererster Güte.«
Da kann ich ihm nur recht geben. Steve Lamont ist Anwalt für Steuerrecht und ein Paradebeispiel für alles politisch Unkorrekte. Mom hat ihn noch nie gemocht, weil er ein totaler Chauvi ist und jedes Jahr am Tag des Frauenwahlrechts Trauer trägt, um zu zeigen, was er davon hält.
»Ich verstehe nicht, warum sie ihn überhaupt eingeladen hat«, sage ich. »Clay ist zwar aus dem Süden, aber ich glaube nicht, dass er ein Ultrarechter ist. Dieser Lamont dagegen …«
»Ist stinkreich, Babe. Oder wie Clay es ausdrücken würde: ›Er hat so viel Geld, dass er sich jedes Mal, wenn seine Yacht nass wird, eine neue kauft.‹ Das ist alles, was zählt. Die würden sich mit noch viel übleren Typen einlassen, um an ihre Kohle zu kommen.«
Ich schaudere und will den Korken rausziehen, der kurz bevor er draußen ist, abbricht. »Mist.«
Tim greift nach der Flasche, aber ich schiebe sie blitzschnell weg, sodass er nicht rankommt. »Ist schon okay. Das Reststück kriege ich auch noch irgendwie raus.«
»Timothy? Was dauert da denn so lange?« Mom kommt durch die Schwingtür in die Küche und blickt zwischen uns hin und her.
Ich halte die Flasche in die Höhe. »Also wirklich!«, schimpft sie. »Wenn auch nur ein Stück Kork im Wein schwimmt, ist die ganze Flasche ruiniert.« Sie reißt sie mir aus der Hand, betrachtet sie stirnrunzelnd, dann wirft sie sie in den Müll und öffnet den Kühlschrank, um eine neue herauszuholen. Ich will sie ihr aus der Hand nehmen, aber sie greift nach dem Korkenzieher und öffnet sie selbst.
Nachdem sie auch die zweite Flasche geschickt entkorkt hat, reicht sie sie Tim. »Geh einfach um den Tisch herum und füll die Gläser auf.«
Er seufzt. »Alles klar, Gracie.«
Sie nimmt ein Weinglas vom
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