Mein verräterisches Herz: Roman (German Edition)
sie aufhören würde zu weinen. Sie durchnässt die Augenbinde und schwemmt mit ihren Tränen die Heilsalbe aus«, klagte der offensichtlich frustrierte Arzt.
Alex wollte zur Tür.
»Warten Sie«, sagte Dr. Betters und hielt ihn am Arm fest. »Da wäre noch etwas.«
»Noch etwas?«
»Sie müssen wissen, dass Sarah in der fünften Woche schwanger ist.«
Jeder Blutstropfen sackte in Alex’ Füße, er tastete nach dem Stuhl, setzte sich langsam und ließ wortlos den Kopf in die Hände sinken.
Der Arzt berührte seine Schulter. »Auch Sarah wusste es nicht. Ich möchte nicht, dass Sie hineingehen und sie irgendwie aufregen«, warnte er. »Schwangere sind Opfer ihrer Hormone, und sie scheinen auch der Grund für ihre Tränenflut zu sein. Aber ich muss unbedingt diese Heilsalbe in ihre Augen hineinkriegen. Diesmal muss der Salbenverband trocken bleiben. Sie müssen ihr nötigenfalls die Sterne vom Himmel versprechen – nur damit ihre Tränen versiegen.«
Alex konnte nur sprachlos dasitzen, ratlos, was er denken, geschweige denn empfinden sollte.
Oder, der Himmel stehe ihm bei, was Sarah nun wohl dachte.
Sie war in der fünften Schwangerschaftswoche. Ausgerechnet ihr musste das passieren! Alex konnte sich nicht annähernd vorstellen, wie sie sich in diesem Moment fühlte. Benutzt? Oder – was viel wahrscheinlicher war – in der Falle einer weitaus größeren Verpflichtung, als eine Ehe sie war? Alex schloss die Augen und betete um Verständnis. Um ihr Verständnis. Besoffen von Whiskey und Lust war er in ihr Bett gekrochen und hatte sie geschwängert. Schließlich hatte Alex seine Fassung so weit wiedergewonnen, dass er auf den Gang hinausgehen konnte. Vor Sarahs Tür fragte er sich, was er nun sagen sollte. Als ihm klar wurde, dass nichts, was er sagte, etwas würde ändern können, öffnete er leise die Tür.
Sie saß auf der Untersuchungsliege, die bandagierte rechte Hand an der Brust, über den schönen Augen einen durchnässten Verband. Stumme Tränen sickerten unter dem sich ablösenden Pflaster hervor. Leise trat er zu ihr, und Sarah zuckte zusammen, als sie seine Anwesenheit spürte.
»Wer … wer ist da?«
»Ich bin es«, sagte er und legte ihr seine Hand auf die Schulter, worauf sie wieder zusammenzuckte. Alex nahm sie wegen ihrer kranken Hand nun besonders behutsam in die Arme und drückte sie an sich. »Es tut mir leid, Sarah«, sagte er. »Es tut mir so leid.«
»Dir tut es leid? Mir sollte es leid tun.«
Er schüttelte den Kopf, was sie natürlich nicht sehen
konnte, und sagte: »Dir braucht nichts leidzutun, Sonnenschein.«
»Ich habe mein neues Auto zu Schrott gefahren.«
»Der Teufel soll die Karre holen, solange dir nichts zugestoßen ist.«
»Und Daniel Reeds Wagen ist ein Wrack.«
»Wir sind versichert.«
»Und John Tate ist ungehalten, weil ich keinen Führerschein habe.«
Alex unterdrückte ein Stöhnen.
Sarah schniefte.
»Deine Tränen schaden den Augen, Sarah. Ich weiß, dass du Schmerzen hast, Sonnenschein«, sagte er, »aber du musst jetzt aufhören zu weinen, damit Betters seine Heilsalbe auftragen kann.«
»Hat er dir gesagt, was mit meinen Augen passiert ist?«, fragte sie und drehte den Kopf in seine Richtung.
Alex fand zu seinem ersten Lächeln. »Er sagte, du hättest dir beim Auswechseln der Ozonbirne die Augen verbrannt.«
Sie nickte und ließ wieder weinend den Kopf sinken.
»Keine Tränen mehr, Sarah.«
»Hat er … hat er noch was gesagt?«
»Ja.«
»Ach …«
»Ach ...«
Alex lächelte wieder. Hinter diesem kleinen »Ach« stand eine ganze Welt voller Sorge. Er brauchte ihre Augen nicht zu sehen, um zu wissen, dass Sarah nun unsicher war, ob es ein gutes oder schlechtes Ja war, das er ihr zur Antwort gegeben hatte. Eine Entscheidungshilfe tat not.
»Was für ein Gefühl hast du?«
»Was für ein Gefühl hast du?«, erwiderte sie leise.
»Wie sollte ich etwas fühlen?«, konterte er lächelnd.
Sie verschluckte sich fast. Ihr Verband hinderte sie daran, die Stirn kraus zu ziehen. Alex stupste sie sanft an der Schulter.
»Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber«, erwiderte sie unwirsch.
Er führte den Mund nahe an ihr Ohr und flüsterte ihr zu: »Also, ich bin mir schon im Klaren.«
Da wurde an der Tür geklopft, und der Arzt trat ein. »Nun, Leutchen, wenn der Wasserhahn zugedreht wird, können wir Salbe in die Augen tun und den Verband zum dritten Mal wechseln«, meinte er müde. Er schob Alex ein paar Fläschchen zu und trat zu seiner
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