Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
nicht verstanden, was für einen Mechanismus er in Gang gesetzt hatte, und seine ökonomischen Kenntnisse hätten nicht ausgereicht, um die Risiken abschätzen zu können.
Kirill Rogow, Experte des Gaidar-Instituts für Wirtschaftspolitik: »Ich bin kein Spezialist für die konkreten Mechanismen der damaligen Zeit. Schon eher verstehe ich den makroökonomischen Aspekt des Geschehens: Es gab eine zurückgestaute Inflation im Land. Im Unterschied zur offenen Inflation, die mit Preissteigerungen einhergeht, bedeutet die zurückgestaute Inflation ein Warendefizit. Wenn die Preise nicht erhöht werden dürfen, dann werden zu diesen Preisen eben weniger Waren verkauft. Außerdem gab es unterschiedliche Kurse. Es gab bargeldlose Rubel – das waren Fonds, die der Staat an die Industrie ausgab. An bargeldlose Rubel kam man leichter heran, man konnte damit aber nicht auf den Schwarzmarkt gehen. Wenn man sie dagegen in bare Rubel umwandelte, konnte man dafür schon etwas kaufen. Bestimmten Leuten erlaubte der Staat gelegentlich, bargeldlose Rubel in bare Rubel umzuwandeln. Das waren überaus einträgliche Operationen. Der Wirtschaft geschadet haben nicht die NTTM -Zentren als solche, sondern diese gesamte Situation mit den vielen verschiedenen Wechselkursen. Die Zentren (wie auch die Kooperativen damals) verwandelten die verdeckte Inflation in eine offene. Da das alles auf der Grundlage individueller Genehmigungen geschah, verdienten diejenigen, die solche Genehmigungen bekamen, sehr viel daran. Hier drang natürlich der Markt in das sowjetische Leben ein. Dieser Markt war aber mit überaus einträglichen, quasi-legalen Operationen verknüpft. Und diese Gewohnheit, dieses Muster hat sich lange (bis heute) gehalten. Später haben dieselben Leute genauso an der Inflation und dem ständig steigenden Kurs des Rubels gegenüber dem Dollar verdient. Wenn du Geld hast und weißt, dass der Dollar in einem Monat 20 Prozent teurer sein wird, legst du dein Geld in Dollar an. Im Ergebnis verlieren die Rubel bei allen nach einem Monat 20 Prozent an Wert, während du 20 Prozent Rubel mehr erhältst, du machst also keinen Verlust. Gegenüber allen anderen aber, die um 20 Prozent ärmer geworden sind, bist du nun reicher.«
Das Team
Zu der Zeit, als die NTTM -Zentren erstmals auf den Plan traten, arbeiteten Platon Lebedew, Leonid Newslin und Michail Brudno (die später Yukos-Gesellschafter werden sollten) noch bei der Vereinigung Sarubeshgeologia. Von 1981 bis 1982 waren sie alle drei dort. Lebedew ist Ökonom, Absolvent der Plechanow-Akademie für Volkswirtschaft in Moskau. Newslin und Brudno sind Programmierer. Newslin hatte das Gubkin-Institut für Erdöl und Erdgas abgeschlossen, Brudno das Polytechnische Institut in Kalinin (das heute wieder Twer heißt). Im Jahre 1981 waren beide 22 Jahre alt, Lebedew war drei Jahre älter.
Brudno und Newslin hatten im selben Rechenzentrum gearbeitet und waren Freunde geworden. Und wie alle jungen sowjetischen Ingenieure beschäftigte auch sie die Frage, wo sich etwas dazuverdienen ließ. Umso mehr, als beide schon verheiratet waren, Newslin hatte auch schon Kinder. Gern hätten sie im eigenen Beruf dazuverdient, was aber nicht immer ging, also machten sie auch andere Dinge: von Verladearbeiten in Gemüsedepots oder Häfen bis hin zur Arbeit in einer Kwass-Bude an der Schabolowka-Straße. Den ganzen Sommer 1986 schenkten sie aus. Brudno brachte es fertig, mit dem Kwass sein erstes Auto zu finanzieren, einen längst nicht mehr neuen, zehn Jahre alten Saporoschez, der ihn 2000 Rubel kostete.
Und dann, so jedenfalls geht die Legende, entdeckte Brudnos Frau Irina eines schönen Tages im Jahre 1987 während eines Englisch- oder Programmierkurses einen Aushang des NTTM -Zentrums im Frunsenski-Bezirk.
Michail Brudno : »In Wirklichkeit war es kein Aushang, den Ira gesehen hatte, sondern Chodorkowski selbst. Sie war auf einer Konferenz für Programmierer auf dem WDNC h-Gelände, 52 die ein bekannter Programmierer namens Peregudow organisiert hatte. Dort sprach auch Chodorkowski. Er stellte sich einfach hin und sagte: ›Kommt zu uns und alles wird gut.‹ Meine Frau sagte, er habe angeboten, über sein Zentrum Leistungsverträge zu schließen, bei denen er 30 Prozent des Vertragswerts den Ausführenden als Gehalt auszahlen würde. Das erzählte sie mir, und ich erzählte es Newslin. Ich sagte: ›Lass uns hingehen und uns das ansehen. Bestimmt war das gelogen, bestimmt wollen sie die Leute nur übers Ohr
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