Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
ansprechen.«
Zu der Zeit, in der die ersten Geschäftsbanken entstanden und sich rasend schnell vermehrten, war Russland in einer katastrophalen finanziellen Lage. Wie Jegor Gaidar sich erinnert, wollte nach dem Machtwechsel 1991 niemand in der Regierung arbeiten – und zwar unter anderem deshalb, weil jedermann genau gewusst habe, dass die Geldeinlagen der Russen verschleudert worden waren und jemand dafür die Verantwortung würde übernehmen müssen. Das wollte niemand. Bei einem seiner Videoauftritte im Jahr 1995 sagte Gaidar: »Einlagen sind nicht etwa die Gutschriften auf dem Konto, sondern das, wo sie angelegt, womit sie besichert sind: Devisen, Edelmetall und Gold. Im Jahr 1985 waren die Einlagen bei der Sberbank mit 15 Milliarden Dollar Währungsreserven und einem Goldbestand von 1300 Tonnen besichert. Als ich meine Arbeit in der Regierung aufnahm, erhielt ich einige erste Unterlagen. Da war zum Beispiel eine Notiz der Vneshekonombank: Ende Oktober 1991 waren die liquiden Währungsreserven vollständig aufgebraucht, weshalb sich die Bank für Außenwirtschaft der UdSSR gezwungen sah, alle Zahlungen an das Ausland einzustellen. Von 15 Milliarden Dollar waren noch 16 Millionen Dollar übrig, ein Tausendstel. Von den 1300 Tonnen des Goldbestandes, der noch in der Zarenzeit zusammengetragen worden war, blieben zu dieser Zeit nur noch 289 Tonnen. Allein 1990 hatte die Ryshkow-Regierung 478 Tonnen Gold ausgeführt. Die Regierung von Premier Pawlow brachte es 1991 auf weitere 324 Tonnen. Allen war klar: Die Einlagen waren verschleudert worden und über Jahre hinweg in das Wettrüsten, nach Afghanistan und in die Hilfe für Entwicklungsländer geflossen.«
Ich erinnere mich noch an den Ausspruch eines der französischen Berater, die Russland zu jener Zeit hatte: »Die Goldreserve des Landes ließ sich von Hand abzählen.« Ähnlich äußerte sich auch Anatoli Tschubais, der Vorsitzende des Staatlichen Komitees für die Verwaltung des Staatsvermögens und Vize-Premierminister von 1992 bis 1994. Dieses Bild mag überzogen sein, aber sehr weit ist es nicht von der Realität. Der Staatstresor war leer. Die staatliche Sberbank zum Beispiel, die die Ersparnisse der Bevölkerung gehortet hatte, war 1992 bankrott.
Vor diesem traurigen Hintergrund wuchs von 1989 bis 1994 die Zahl der privaten Geschäftsbanken in Russland von fünf auf 2500 an. Man hatte das Gefühl, wenn irgendwo eine neue Zeit angebrochen war, dann hier, im privaten Bankensektor. Auf einmal wurden in der Redaktion Plastikkarten ausgeteilt. Es hieß, dass das Gehalt ab sofort jedem Mitarbeiter auf ein Konto bei einer Geschäftsbank überwiesen würde und man es über einen Geldautomaten »materialisieren« könne. Ich brauche wohl nicht extra zu erklären, dass es nur wenige Geldautomaten gab und dass man mit seiner Karte nur Geld an den Automaten der Bank abheben konnte, die die Karte ausgestellt hatte. Und dass die Finger im Winter, bei –30 Grad, an den Tasten des Geldautomaten festfroren und dass diese Tasten sich im russischen Winter ohnehin in eine überflüssige Dekoration eines im Grunde sinnlosen Metallkastens verwandelten. Erst später hat man gelernt, Geldautomaten zu bauen, die auch bei strengem Frost funktionieren.
Kreditkarten, damals noch ausschließlich Debitkarten, blieben trotzdem noch lange ein exotisches Accessoire. Ich weiß noch, wie ich einmal auf dem Leningrader Prospekt von einem Milizionär angehalten wurde, weil ich zu schnell gefahren war. Er schrieb mir einen Strafzettel aus, der sofort bezahlt werden musste – anderenfalls würden die Nummernschilder abgeschraubt und die Weiterfahrt untersagt. Ich hatte aber kein Bargeld, sondern nur diese kleine exotische Karte dabei. Der nächste Geldautomat war rund vier Kilometer entfernt, am Puschkin-Platz. Ich sage also zu dem Polizisten: »Steig ein, los geht’s …« Er, erstaunt: »Wohin denn?« Ich erkläre ihm: »Du willst doch, dass ich die Strafe bezahle, also fahren wir jetzt Geld holen.« Aus lauter Neugier stieg er ein, und wir fuhren los. Wir kamen also zum Geldautomaten, ich gab die PIN ein und hob das Geld ab. Er verfolgte diese ganze simple Prozedur durchs Fenster, völlig erstaunt, mit offenem Mund. Ich kam raus und gab ihm das Geld. Er fragte: »Hat dir der Kasten das Geld gegeben?« »Tja«, sagte ich »in gewissem Sinn schon.« Er: »Gibt der allen was?« So war das am Anfang.
Die Zeitung, wo ich damals arbeitete, wurde von der Stolichny-Bank betreut, die
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