Mein Weg mit Buddha
wurde! »Lass uns weiterfahren«, meint mein Ehemann schließlich. »Ich möchte dir etwas zeigen!« Da solche Initiativen noch nie in einer Enttäuschung geendet haben (ganz im Gegenteil!), vertraue ich ihm auch nun wieder blind und lasse ihn dirigieren. Ich fahre und er sagt an. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
Ein knappes Stündchen später durchqueren wir den süßen kleinen Ort Honfleur mit seinen weißen Holzhäusern. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Wenig später erreichen wir die Felsen von Étretat. Was für ein Anblick. Ich will ganz nah ran, diese gewaltigen Felsen hautnah erleben und den Sand unter meinen Füßen spüren. Wir finden einen Weg, der zum Strand führt. Scheinbar kilometerhoch türmen sich die Klippen über mir auf, ich fühle mich ganz klein. »Wir haben Glück, es ist gerade Ebbe. Komm, nicht trödeln!«, treibt mich mein Liebster an. Man kann unter den Felsen hindurchgehen wie durch ein großes Tor und auf der anderen Seite wieder hinaufklettern. »Wenn du aber noch nicht unter den Felsen durch bist, wenn die Flut kommt, siehst du ziemlich alt aus«, bemerkt mein Ehemann trocken, »du kannst weder vor noch zurück. Hier passieren jedes Jahr einige schlimme Unfälle!« Und schwimmen? Beim Anblick der Brandung streiche ich diese Option augenblicklich aus meinen Überlegungen. Also spurten wir los, klettern durch den gigantischen Bogen im Stein, direkt vor unseren Füßen das Meer. Ein atemberaubendes Erlebnis! Auf der anderen Seite angekommen, ist Fitnesstraining angesagt. Schweigend stapfen wir auf dem gewundenen Pfad die Klippe hinauf auf das grüne Plateau. Mein Mann ist sehr still und nachdenklich geworden. Er setzt sich ins Gras und blickt weit aufs Meer hinaus. »Was ist los?«, will ich wissen.
»An dieser Stelle ist vor zwölf Jahren mein kleiner Bruder verunglückt. Sie haben eine Rallye gemacht, tu sais … comme dans le film de James Dean. Ich wollte dir diesen Ort zeigen. Es bedeutet mir viel.«
Ich schweige, da ich nichts Sinnvolles zu sagen weiß. Worte sind oft so banal. Die Liebe meines Lebens legt die Handflächen aneinander – und chantet. Und ich denke wieder einmal darüber nach, wie »ungerecht« das Leben oft scheint.
»Er war der Sonnenschein der Familie«, sagt mein Mann nach einer Weile, »meine Mutter hat seinen Tod nie verwunden. Übrigens hatte er eine deutsche Freundin« – ein Lächeln huscht über sein Gesicht – »ich führe eben die Familientradition fort.«
»Glaubst du, seine Zeit auf Erden war einfach zu Ende? Wo ist seine Seele hingegangen? Was sagt eigentlich unser Buddhismus dazu? Das, was ich bisher weiß und gelernt habe, befriedigt mich ehrlich gesagt noch nicht so ganz. Vielleicht habe ich es auch einfach nicht verstanden.«
»Weißt du, was ich glaube?«, sagt mein Liebster nachdenklich. »Die Menschen haben Angst vor dem Tod, weil sie vergessen haben, dass das Leben ewig und unzerstörbar ist. Denn damit ist es irrelevant, wie lange man auf dieser Erde ist. Die Menschen machen sich einen Wahnsinnsstress, indem sie denken: Morgen ist vielleicht alles vorbei. Also kaufen sie alles, was sie kriegen können, auch wenn sie es sich nicht leisten können. Schulden? Egal! Gibt es in meinem Leben Konkurrenz? Dann muss ich sie möglichst flächendeckend ausschalten. So rennen sie der Zeit hinterher, können nicht genug davon bekommen oder einsparen, je nachdem, denn, wie gesagt, morgen ist es vielleicht vorbei, die Uhr tickt. Die Menschen sind fremdbestimmt durch die ›Drei Gifte‹: Gier, Ärger, und damit meine ich den Konkurrenzkampf, und Dummheit. Das wird so lange nicht aufhören, bis wir endlich erkennen, dass das Leben ewig ist. Ich sagte es schon: Ich habe meinen Bruder sterben sehen und gespürt, dass er keine Angst hatte zu gehen. Er hat es gewusst. An diesem Tag habe ich endlich begriffen, worum es geht, warum ich der buddhistischen Praxis begegnet bin, warum ich chante. Es geht um so viel mehr, als sich hier auf Erden ein schönes Leben zu schaffen.«
»Und? Hast du deine Angst verloren?«, frage ich. Die Antwort war ein klares Ja.
»Ikeda hat einmal gesagt: ›Bei der Frage nach dem Tod geht es eigentlich um die Frage nach dem Leben. Solange die Frage nach dem Tod unbeantwortet bleibt, kann das Leben nicht wirklich erfüllt sein.‹ Mein Bruder hat die Antwort gewusst.«
»Aber was ist die Antwort? Kennst du sie?«
Ich erinnere mich sehr gut an diese Szene in meinem Leben. Es war ein bedeutender Moment, ein
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