Mein Weg mit Buddha
erst dann an zu leben.«
»Tout à fait vrais! Im Buddhismus gibt es die ›Fünf Bestandteile‹: Gestalt, Wahrnehmung, Vorstellungsvermögen, Wille und Bewusstsein. ›Verschmelzen‹ diese sozusagen miteinander, sind die Bedingungen geschaffen für ein Leben im Hier und Jetzt.«
»Und dieses Leben existiert so lange«, klinkte ich mich ein, »bis diese ›Fünf Bestandteile‹ sich wieder auflösen. Der Körper, die Gestalt zerfällt, damit sind die Wahrnehmung und das Vorstellungsvermögen, also unsere Sicht der Dinge, ausgelöscht und somit auch der Wille und das Bewusstsein. Das entspricht doch genau dem wissenschaftlichen Prinzip des Zusammenwirkens von Genen, Atomen und Molekülen, die einen Körper bilden!«
»Ich habe dir immer schon gesagt: Buddhismus ist Ratio, also Vernunft! Und vernünftig wäre auch, jetzt langsam zu gehen«, fügte mein Liebster mit einem Lächeln hinzu. »Die Sonne geht gleich unter, dann wird es ganz schön kalt hier oben.«
»Ja, aber …«, ich war mit den bisherigen Erkenntnissen noch nicht zufrieden, »wohin verschwindet dann die Energie, ich traue mich ja schon gar nicht mehr, ›Seele‹ zu sagen? Geht sie zurück in die Nichtexistenz?«
»Lass uns morgen darüber sprechen. – C’est déjà beaucoup pour aujourd’hui – ich denke, das reicht für heute. Außerdem manifestiert sich gerade so etwas wie Hunger in mir. Und der ist ziemlich existent!« Damit beendete er charmant, aber bestimmt die Diskussion.
»Nicht die Dinge selbst beunruhigen den Menschen, sondern die Vorstellung von den Dingen. So ist der Tod nichts Furchtbares – nein, die Vorstellung vom Tode, er sei etwas Furchtbares, das ist das Furchtbare,« sagte der griechische Philosoph Epiktet.
Genau um mit dieser »Vorstellung« einmal gründlich aufzuräumen, wurde dieser Wochenendtrip unternommen. Und ich sollte auch bald erfahren, warum wir unbedingt ans Meer fahren mussten.
Am nächsten Morgen nahmen wir bei strahlendem Sonnenschein die Küstenstraße in Richtung Süden, passierten noch einmal Honfleur und Deauville und gelangten nach Sainte-Mère-Église. Dieser Ort steckt voller Geschichte. Die Kirche, auf deren Dach im Jahr 1944 Fallschirmspringer gelandet waren, kennt vermutlich jeder, und sei es nur aus dem Hollywood-Film Der längste Tag . Ich versichere Ihnen, falls Sie selbst noch niemals in Sainte-Mère-Église gewesen sein sollten: Es sieht dort haargenau so aus wie im Film. Wir ließen das Auto stehen und spazierten zum Strand.
Auf dem graugelben Sand zwischen den lang gestreckten Dünen liegen Überreste von Gefechtsständen und bröckelnder, grauer Beton von ehemaligen Bunkern – Mahnmale aus einer Zeit, die Krieg und Tod bedeutet hatte und die hoffentlich nie wiederkehrt. Hand in Hand gehen der Mann meines Lebens und ich die Dünen hinunter. Er, der Franzose, ich, die Deutsche. Einstmals Feinde. Noch gar nicht so lange her. Unter dem Aspekt der Ewigkeit betrachtet nicht einmal einen Atemzug. Wir schweigen. Sind dankbar dafür, dass uns heute, im Hier und Jetzt, keine Instanzen, keine Regierungen und Grenzen daran hindern, unsere Liebe zu leben. Doch das gestrige Thema lässt mich nicht los. Es gibt noch so viele Fragen.
»Also«, unterbreche ich das Schweigen, »wo geht die Seele oder – wenn du so willst – die Energie hin? Welchen Weg nimmt das, was nach der physischen Auflösung übrig bleibt?« Ich vermeide es, konkret die Frage nach der Seele des verstorbenen Bruders zu stellen, doch mein Mann greift das Thema selbst wieder auf.
»Regarde, ce qui concerne mon frère – was meinen Bruder betrifft, so ist er auf gewisse Weise noch mit mir, mit uns verbunden.«
»Also glaubst du wirklich an diesen parapsychologischen Quatsch mit Geistern und …« Ein finsterer Blick trifft mich und lässt mich augenblicklich verstummen. »Okay, ist ja gut. Ich halte schon die Klappe.« Ich beschließe, augenblicklich eine »brave Schülerin« zu sein.
»Was ich sagen wollte«, setzt mein »Meister« wieder an, »im Christentum werden individuelle Lebewesen geschaffen und zerstört. Der geistige Teil eines Individuums ist als ›Seele‹ selbst ein Individuum und besteht in irgendeiner jenseitigen religiösen Geisterwelt fort. Somit nutzt ein anständig gelebtes Leben nur dieser einen Seele allein, sie gelangt entweder in den Himmel oder in die Hölle. Im Buddhismus ist das einzelne Lebewesen in den Kontext des gesamten Universums eingebettet. Im Tod stirbt nicht das Leben, sondern nur die
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